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Filmkritik
Dass in Filmen festlich geplante Abschieds- oder Familienessen heftig ausarten können, weiß man spätestens seit „Das Fest“ von Thomas Vinterberg. Die Anstandsfassade hält nur bis zum dritten Drink. Dann benehmen sich die Gäste daneben, es gehen Sachen zu Bruch und setzt es Sticheleien und Streit; schlimmstenfalls werden traumatische Geheimnisse enthüllt. Solche Auswüchse eignen sich visuell wie psychologisch gleichermaßen für die Leinwand und treiben die Handlung voran. Von der Abschiedsparty eines jungen Paares erwartet man allerdings keine solche Eskalation. Doch das Spielfilmdebüt von Lukas Nathrath beweist, dass es auch anders geht.
Ein Lied als Geschenk
Clemens (Sebastian Jakob Doppelbauer) und Lisa (Pauline Werner) sind Ende zwanzig und offenbar schon seit Jahren zusammen. Jetzt wagen sie den großen Schritt von Hannover in die Hauptstadt nach Berlin. Die Wohnung in Niedersachsen sieht schon recht leergeräumt aus, die meisten Kisten sind gepackt. Clemens muss zwei Stunden vor Eintreffen der Gäste unbedingt noch ein Lied auf der Gitarre üben, das als Geschenk für Lisa gedacht ist. Diese hatte ihm allerdings aufgetragen, die verbliebenen Bücherregale auszuräumen und die Kisten zu beschriften.
So richtig durchdacht scheint die Planung des Abends nicht zu sein, und so muss unter Zeitdruck einiges improvisiert werden. Beim Tütenhochtragen lernt Clemens auf der Straße die Rucksacktouristin Valerie (Isabelle von Stauffenberg) kennen, die versetzt wurde; Lisa will ihr aber nicht erlauben, ihr Handy in ihrer Wohnung aufzuladen. Bei der Nachbarin Katharina (Susanne Dorothea Schneider) leiht man sich etwas Mehl – für die Lasagne, die anschließend anbrennt. Ein teures Ersatzessen wird online bestellt, der Bote schmeißt im Badezimmer eine Vase kaputt, wichtige Freunde sagen in letzter Minute ab. Kurz: Die Nerven der Gastgeber liegen schon blank, bevor das Essen überhaupt begonnen hat.
Allmählich wechselt die Stimmung
Zudem stellt sich bald heraus, dass es um Clemens’ Psyche nicht gut bestellt ist. Er nimmt Antidepressiva und erleidet vor und während der Party depressive Anfälle. Als begabter, aber erfolgloser Musiker trägt er kaum zum Einkommen des Paares bei. Lisa ist die Erfolgreiche in der Beziehung und soll in Berlin eine Stelle als Assistenzärztin an der Charité antreten.
Zunächst wahren die Gäste den Schein, sind fröhlich und festlich gestimmt. Katharina und Valerie werden spontan von Clemens eingeladen, was Lisa nicht gefällt. Lisas jovialer Halbbruder Aaron (Valentin Richter) spielt den Unterhalter, Lisas Studienkollege Jan (Julius Forster) und der egozentrische österreichische Schauspieler Marcel (Nikolai Gemel) stoßen ebenfalls zum Essen hinzu. Es werden Reden geschwungen, dem Paar wird viel Glück gewünscht, und doch bringen Gäste wie Gastgeber durch persönliche Befindlichkeiten Unruhe in die Runde, deren Stimmung allmählich eskaliert – bis hin zu Wortgefechten und Handgreiflichkeiten.
Für Humor ist nur wenig Platz
Die Beschränkung der Handlung auf die Wohnung und gelegentliche Rückzüge auf die Straße betonen das klaustrophobische Ambiente des Kammerspiels. In Clemens’ und Lisas Heim prallen trotz des feierlichen Anlasses nach etlichen Gläsern Hochprozentigem und etwas Koks verletzte Egos aufeinander und brechen schlummernde Konflikte auf. Alles, was Anlass zum Streit geben kann, wird von Drehbuch und Figuren dankbar genutzt. Man fetzt sich über Politik, Gender- und Umweltfragen, den Umgang mit Corona oder markiert den Besserverdienenden. Jeder inszeniert sich in mindestens einem Anfall oder Ausraster. Man vergießt Tränen, liebt die falsche Person oder leidet an erloschenen Gefühlen. Allianzen wechseln, heftige Anschuldigungen purzeln durch Wohnzimmer, Flur und Küche – die Stimmung ist explosiv.
Inszeniert ist das mit einem jungen Ensemble besetzte Drama mit einer beweglichen Kamera auf engem Raum. Die Party wird nicht nur zum Anlass genommen, schmerzliche Wahrheiten über Figuren offenzulegen, sondern greift auch in Existenzielles ein. Wie in einem klassischen Drama sind der zeitliche und räumliche Rahmen begrenzt und macht der Held eine bittere Katharsis durch. Doch in seinem heiligen Ernst erscheint der Film überambitioniert sowie sehr durchkonstruiert und wird auch kaum durch Humor oder Elemente jenseits des strengen Konzepts aufgelockert.
Tiefsitzende Ängste & Sorgen
„Der letzte Abend“, dessen Titel in mehrerlei Hinsicht prophetisch ist, bemüht sich, das Lebensgefühl junger Erwachsener zwischen Beziehung, Beruf und Zukunftsängsten einzufangen. Dabei erscheint der hochsensible Clemens als komplexe und sympathische Figur, während man für seine mit weniger Tiefgang gezeichneten Mitspieler:innen weniger Empathie aufbringt. Der während der Corona-Zeit entstandene Film spiegelt auch die tiefgreifenden Ängste und Sorgen wider, welche die Pandemie mit sich gebracht hat, wenn auch auf symbolische Weise. Konkrete Indizien der Covid-Ära sind Masken, Abstand und Desinfektionsmittel. Auch die Musikstücke, die Clemens mit seiner Gitarre spielt, – ein Lokalhit und das persönliche Lied für Lisa – haben Symbolcharakter und wecken nostalgische und schmerzliche Gefühle, die das Abschiedsambiente des Dramas besiegeln.