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Filmkritik
In der pompös-stilvoll eingerichteten Wohnung veranstaltet die Philosophie-Professorin Alma Olsson (Julia Roberts) eine Feier für den Kollegenkreis ihres Insituts. Privilegierte Akademiker, die mit Whiskyglas in der Hand auf Heidegger und Adorno referieren. Ihr befreundeter Kollege Hank (Andrew Garfield), mit dem sie um eine Festanstellung an der Yale University konkurriert, lässt gelassen philosophischen Denkanstöße fallen. Exquisites Vokabular und die charmante Vortragsweise täuschen schnell darüber hinweg, welche Spannungen und Idiosynkrasien in der munteren Runde lauern.
Zu dem Fest geladen sind auch einige von Almas besten Studenten, die sich den intellektuellen Wortgefechten aussetzen müssen. Darunter befindet sich die Doktorandin Maggie (Ayo Edebiri), die ihre Professorin sichtlich anhimmelt. Als sich die junge Frau schließlich von der Party verabschiedet, schließt sich ihr der angetrunkene Hank an und verspricht, die Studentin wohlbehalten nach Hause zu bringen.
Was danach zwischen Maggie und Hank geschieht, wird bis zum Ende von Luca Guadagninos „After the Hunt“ nicht zweifelsfrei geklärt werden, und diese Unsicherheit wird zum Maelstrom, der Freundschaften und Karrieren zu verschlingen droht. Am Tag nach der Party findet Alma Maggie derangiert vor ihrer Haustür vor. Mit stockender Stimme berichtet sie, Hank habe sie in der Nacht in ihre Wohnung begleitet und dort vergewaltigt. Der Tatverdächtige wird Alma wenig später im Vier-Augen-Gespräch eine andere Version der Vorkommnisse jener Nacht präsentieren. Maggies Vorwürfe gegen ihn führt er darauf zurück, dass sie ihn mundtot machen wolle, weil er festgestellt habe, dass ihre Dissertation in weiten Teilen plagiiert sei.
Moralische Instanz
Luca Guadagnino beleuchtet mit „After the Hunt“ die Frage, was passiert, wenn Moralvorstellungen von der Theorie in die Praxis geraten. Philosophische Aufsätze kennen die Beteiligten zur Genüge, doch plötzlich steht die aufstrebende Professorin vor einem Interessenskonflikt und einem moralischen Dilemma. Als Frau in einer Führungsposition sollte sie einem mutmaßlichen Vergewaltigungsopfer Glauben schenken, doch ihre Loyalität zu ihrem langjährigen Freund steht dem entgegen, und Beweise, die die Aussage der einen oder des anderen unzweifelhaft belegen, gibt es nicht.
Die Schuldzuweisungen reißen Gräben in dem akademischen Milieu auf. Unablässig treten neue Informationen und Perspektiven zutage, die die Haltung der Beteiligten verschieben und auch die Filmzuschauer:innen dazu zwingen, ihre Haltungen zu den Figuren und ihre Deutungen des angeblichen sexuellen Übergriffs immer wieder zu überdenken. „Oberflächen statt Substanz“, heißt es an einer scheinbar redundanten Stelle im Film. Auf provokative Bemerkungen folgen prüfende Blicke, aber die Wahrheit bleibt unergründlich. Malik Hassan Sayeeds Kamera verweilt immer wieder auf den Händen der Figuren, als müsse deren Gestik fortwährend neu justiert werden.
Es gibt kein richtiges Leben im Falschen
Guadagninos expressive Inszenierung steht dem kleinteiligen, facettenreichen Drehbuch von Nora Garrett entgegen. Dabei nutzt er die stilisierte Form, um die subtile Manipulation der Beteiligten auch auf inszenatorischer Ebene sichtbar zu machen. Insbesondere die Musik von Atticus Ross und Trent Reznor erinnert an den technoiden Soundtrack von „Challengers“, der die aufkeimenden emotionalen Verwicklungen sozusagen mit Ausrufezeichen taktete. In "After the Hunt" begleitet einleitend das Geräusch einer tickenden Uhr den Arbeitsalltag von Alma – als kündige sich der Höhenrausch vor dem freien Fall an.
Dass „After the Hunt“ zu einer treffsicheren Parabel über die Heuchelei vermeintlicher Wokeness-Ideale in einem privilegierten System gerät, ist vor allem Guadagninos filmischem Zugriff und einem herausragenden Ensemble zu verdanken. Unter den Nebenrollen ragt insbesondere Michael Stuhlbarg hervor: Als Almas Ehemann verleiht er seiner Figur eine charmant-ironische Fiesling-Attitüde, deren spitzfindige Kommentare die Debatte aufs Neue entzünden.
Am Ende zeigt sich, dass es hier weniger um Cancel Culture oder individuelle Schuldzuweisungen geht. Vielmehr entlarvt der Film ein System, in dem moralisches Handeln zunehmend illusorisch erscheint. In einer verkommenen Ordnung sind die ethischen Imperative nicht nur schwer umzusetzen, sie geraten fast zwangsläufig ins Leere. Und für die privilegierten Beteiligten bleibt höchstens eine Kante im Lebenslauf.



