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Filmkritik
Die westliche Welt präsentiert sich heute so völkergemischt und genderdivers wie noch nie. Im Zusammenhang mit dem ursprünglich von Feministinnen angeschobenen Kampf um die Gleichberechtigung der Geschlechter hat sich das Feindbild des „alten weißen Mannes“ etabliert. Anfangs die Bezeichnung für die, die kraft ihrer privilegierten Stellung die Gesellschaft dominierten, bezeichnet der Begriff heute abschätzig eine (männliche) Person, die mit dem gegenwärtigen Zeitgeist und den neuen, woken Idealen nicht zurechtkommt.
Ungefähr hier setzt Simon Verhoeven mit „Alter weißer Mann“ an. Im Zentrum des als Gesellschaftskomödie aufgezogenen Films steht der von Jan Josef Liefers gespielte Heinz Hellmich, ein sympathischer und höflicher Mann von Anfang fünfzig, der gern allen alles rechtmacht. Er wohnt mit seiner Familie in einem Einfamilienhaus in der fiktiven deutschen Kleinstadt Waldstetten und arbeitet seit vielen Jahren im mittleren Management der Telekommunikationsfirma Fernfunk AG. Er verdient nicht schlecht und hat einiges zur Seite gelegt. Doch die Ausgaben für seine älteste Tochter Mavie, der er Studium und Wohnung in Berlin bezahlt, schlagen kräftig zu Buche, ebenso die Erneuerung des Daches. Auch plant seine Frau Carla, die wegen der Kinder ihren Beruf als Dolmetscherin vor einigen Jahren aufgab, sich mit einem generationenverbindenden Café selbständig zu machen, und zählt dabei auf seine finanzielle Unterstützung.
Vertippt und faktisch pleite
Dass Heinz angesichts des Schwindens seines Finanzpolsters nervös geworden ist und sich von einem Jungenfreund zum Kauf von Aktien verleiten lässt, ist verständlich. Dass er sich dabei vertippt und dadurch faktisch pleite ist, fatal. Doch ausgerechnet jetzt engagiert die Fernfunk AG eine Beratungsfirma samt Diversity-Expertin, die den Betrieb zwecks Optimierung unter die Lupe nimmt, was Heinz so richtig ins Schwitzen bringt. Denn anders als die stetigen Belehrungen seiner gendersensiblen Tochter, die Verschlossenheit seines Sohnes und die Gereiztheit seiner Gattin, die er zwar wahrnimmt, aber gutmütig wegsteckt, versetzt ihn die Vorstellung, den beruflichen Anforderungen möglicherweise nicht mehr zu genügen und deswegen den Job zu verlieren, in Unruhe. Heinz ist daher auch überaus verblüfft, als sein direkter Vorgesetzter ihm nach der katastrophalen Präsentation einer Werbekampagne einen Sitz im Vorstand in Aussicht stellt. Dessen Vorschlag, Kadermitglieder und Evaluierungsexpertinnen bei einem lockeren Nachtessen bei sich zuhause von seiner und seiner Familie Wokeness zu überzeugen, stimmt Heinz zu, ohne groß nachzudenken.
In der Familie aber gibt dieser Vorschlag einiges zu reden; in einer der nüchternsten, zugleich auch ehrlichsten Szenen des Films schaut sich Heinz in seinem Wohnzimmer um und stellt lakonisch fest, dass die im Raum hängenden Bilder ausschließlich von „alten weißen Männern“ stammen und für seine DVD-Sammlung Vergleichbares gilt. Um beim Dinner den gewünschten Eindruck achtsamer Weltoffenheit zu erwecken, wird im Wohnzimmer einiges umarrangiert und werden aus dem Bekanntenkreis ausschließlich Menschen mit Migrationshintergrund eingeladen. Zusätzlich erweitert wird die gemischte Tafelrunde mit Heinz’ unangemeldet hereinschneiendem Vater und einem von diesem mitgebrachten Fahrradkurier indischer Provenienz, der sich als vorbildlich integrierter und musikalisch hochtalentierter Student entpuppt.
Für eine turbulente Dinner-Runde ist also gesorgt, doch zuvor schickt der Film Heinz noch auf einen Trip zu seiner Tochter nach Berlin. Dort zeigt sich besonders, wie sehr Verhoeven auf einen auf Klischees und Vorurteile aufbauenden Humor, Missverständnisse und Peinlichkeiten setzt. Was Heinz außerhalb seines gewohnten Umfelds widerfährt, ist weder lustig noch berührend, sondern wirkt an den Haaren herbeigezerrt.
Einander als Menschen begegnen
Simon Verhoeven behauptet, „Alter weißer Mann“ sei ein Versuch, die heute zersplitterte Gesellschaft an einen Tisch zu setzen und deren Mitglieder miteinander streiten, einander aber auch als Menschen begegnen zu lassen. Das glückt ihm zum Teil sehr gut; wer sich selbst nicht nur in der eigenen Blase bewegt, sondern sich auf Begegnungen und Auseinandersetzungen mit anderen Menschen unabhängig von Alter, Herkunft und Geschlecht einlässt, dürfte viele der im Film eingebrachten Positionen und Meinungen aus eigener Erfahrung kennen.
Die große humorvolle Abrechnung mit der heutigen diversen Gesellschaft und den oft kontroversen Anliegen und Ansichten ihrer Mitglieder ist Verhoeven mit diesem Film allerdings nicht geglückt. Ebenso wenig ist „Alter weißer Mann“ eine als Komödie getarnte Charakterstudie um jemanden, der seine Ansichten oder sein Verhalten in Frage gestellt sieht und verändert – dazu ist Heinz Hemmich von Anfang an ein viel zu redlich um Anschluss bemühter Erdenbürger. Die biestiger gezeichneten alten weißen Männer des Films sind eher sein greiser Vater, der sich, wiewohl schon ziemlich vergesslich geworden, sehr gut an die Nazizeit erinnert, und Hemmichs Vorgesetzter, der ihn nur protegiert, weil er sich davon eigene Vorteile verspricht.
Und letztlich nimmt der Film viele der Privilegien, die seine Hauptfigur hat, schlicht zu selbstverständlich, um überhaupt auf die Idee zu kommen, sie satirisch aufs Korn zu nehmen. So scheint es etwa gar keine Frage zu sein, dass Heinz das Dinner, zu dem er einlädt, weitgehend von seiner Frau und seinen Kindern ausrichten lässt und dabei noch, ohne sich groß zu schämen, zu spät kommt.