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Amrum

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Amrum, Frühjahr 1945. Seehundjagd, Fischen bei Nacht, Schuften auf dem Acker, nichts ist zu gefährlich oder zu mühsam für den 12-jährigen Nanning, um seiner Mutter in den letzten Kriegstagen zu helfen, die Familie zu ernähren. Mit dem ersehnten Frieden kommen allerdings völlig neue Konflikte, und Nanning muss lernen, seinen eigenen Weg zu finden.
  • Veröffentlichung09.10.2025
  • Fatih Akin
  • Deutschland (2025)
  • 93 Minuten
  • Drama
  • FSK 12
  • 12 -
  • 6.1/10 (56) Stimmen
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Auf Amrum schlängeln sich sanfte Dünen am Wattstrand entlang; alte Bauernhäuser ranken sich um die Dorfkirche. Die Insulaner sprechen einen eigenen Dialekt und nicken freundlich zur Begrüßung. Doch in dem Film „Amrum“ von Fatih Akin brodelt es unter der friedlichen Oberfläche. Das Rauschen der Wellen wird vom Motorenlärm der englischen Bomber übertönt, und die Sandstrände verlieren ihren Charme, wenn tote Soldaten angeschwemmt werden. Der freundliche Schnack mit den Ortsbewohnern kann umschlagen, wenn der Hitlergruß nicht sitzt. Auf Amrum bricht man Hasen das Genick; Robben schießt man in den Kopf. Vaterlandsverrätern droht noch Schlimmeres.

Kindheitserinnerungen an Nazi-Deutschland

Die Geschichte zum Film lieferte Akins früherer Mentor Hark Bohm. Sein Alter Ego ist der Junge Nanning (Jasper Billerbeck), der mit seiner Familie von Hamburg nach Amrum geflohen ist, um während des Krieges in Sicherheit zu sein. Als seine Mutter (Laura Tonke) sich nach einer schweren Niederkunft zu essen weigert, macht es sich Nanning zur Aufgabe, ihr ein Stück Weißbrot mit Butter und Honig zu besorgen. Alle drei Bestandteile sind im kriegsgebeutelten Deutschland absolute Mangelware, und so muss der Junge all seine Kraft und seinen Verstand aufbringen, um durch Tauschgeschäfte einen Löffel Zucker oder eine Handvoll Mehl zu ergattern.

Auf dieser kleinen Odyssee trifft er eine Reihe prägnanter Inselbewohner, die alle ihre eigenen Sorgen und Weltansichten haben. Akin nutzt dies, um in kurzen Gastauftritten einige Größen des norddeutschen Films wie Lars Jessen oder Detlev Buck auftreten zu lassen oder Diane Kruger in einer prominenten Nebenrolle zu besetzen. Sogar Matthias Schweighöfer darf fünf Minuten lang als Onkel aus Amerika einen Monolog halten. In diesen kurzen Begegnungen lassen Akin und Bohm ihr erzählerisches Geschick glänzen: Die Insel wird lebendig, und jedes Gespräch enthüllt eine weitere Facette der zutiefst gespaltenen Gesellschaft. Denn selbst das abgelegene Fleckchen Land im Meer kann sich vor der Ideologie dieser Zeit nicht schützen.

Der kindlichen Naivität Nannings, der fest daran glaubt, dass ein leckeres Brot das Leben seiner Mutter retten und die Welt reparieren kann, steht die kalte Realität der Kriegsjahre gegenüber. Den Jungen interessiert nur, warum der einarmige Bäcker gerade kein Weißbrot hat, während die Zuschauer viel mehr daran interessiert sind, warum er keinen Arm mehr hat – und ob er diesen wohl gerne zum Hitlergruß erhoben hätte. Erst allmählich stellt Nanning diese vermeintliche Normalität infrage und beginnt zu verstehen, wer dem „Führer“ treu ist und wer Widerstand leistet. Dass ausgerechnet seine Mutter die flammendste Verfechterin der NS-Ideologie ist, kann an seiner Zuneigung zu ihr nichts ändern.

Versöhnlicher Blick auf harte Realitäten

Die Auseinandersetzung mit rechtem Gedankengut ist für Akin und Bohm nicht neu. In „Aus dem Nichts“ befassten sich die beiden mit den Terroristen der NSU. In diesem Film entwarfen sie ein finsteres Bild von Opfern, die zu Tätern werden, und von den Grenzen des Rechtsstaats. Die Nazis wurden als verkommene Rassisten ohne jegliche positive Qualität dargestellt. Mit den Nationalsozialisten auf Amrum gehen die Filmemacher ungleich milder ins Gericht. Statt einer bitteren Abrechnung wird kindlicher Optimismus geboten. Die brennendsten Fragen stellt der Film erst gegen Ende, wenn der Krieg endgültig verloren ist: Wie können die Menschen weiter Tür an Tür mit anderen leben, deren Unmenschlichkeiten sie jahrelang schweigend miterleben mussten? Wie kann eine Familie funktionieren, nachdem man die Weltanschauung der Verwandtschaft durchschaut hat?

Interessante Antworten darauf bleibt „Amrum“ aber schuldig. Der Film flüchtet sich in Binsenweisheiten, die Buck, Jessen und Schweighöfer in ihren Gastauftritten zum Besten geben: Du bist nicht deine Familie, aber du hast eine Verantwortung zu tragen. Obwohl der Film von der Vertreibung aus dem Paradies und dem Verlust der Unschuld erzählt, dominiert trotz einiger dramatischer Momente mehr das Paradies und die Unschuld als Vertreibung und Verlust.

Mehr Jugendfilm als Kriegsgeschichte

Die Geschichte ist mit poetischen Bildern kurzweilig und stimmungsvoll erzählt, doch sie endet, ehe sie ihr Potenzial ausgeschöpft hat. Für Fatih Akin ist „Amrum“ eine „Reise in die Tiefen meiner deutschen Seele“. Der Film, den er dabei in seinem Inneren fand, erweist sich letztlich als Hark Bohms Butterbrot mit Honig: norddeutsch, schmackhaft, voller guter Zutaten. Ein simples Angebot zur Versöhnung, das die Welt aber nicht reparieren wird. „Amrum“ berührt zwar immer wieder Stellen, an denen es weh zu tun beginnt, zuckt aber zurück, sobald es ernstlich schmerzt. Da er die aufwühlenden Momente in kleine Portionen verpackt, funktioniert er als Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nur bedingt, als Jugendfilm aber umso besser. Die nostalgische Sehnsucht nach dem Inselidyll, die von Bohms Kindheitserinnerungen geprägt ist, lädt weniger zur Vergangenheitsbewältigung als zu einem Amrum-Urlaub ein.

Veröffentlicht auf filmdienst.deAmrumVon: Christoph Dobbitsch (29.9.2025)
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