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Herz aus Eis

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Die 15-jährige Jeanne aus ihrem Hochgebirgsdorf träumt davon, ihr Waisenhaus zu verlassen und die Welt zu entdecken. Sie flieht in die Stadt der Lichter und findet Zuflucht in einem Schuppen. Am Morgen erscheint ihr die Schneekönigin, die sie in ihren Bann zieht. Der Schuppen entpuppt sich als Studio, in dem ein Film nach dem Märchen von Hans Christian Andersen, Die Schneekönigin, gedreht wird. Cristina, die Hauptdarstellerin, die die Königin verkörpert, ist die Herrscherin am Set.
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Das eigene Zuhause hat sie schon lang verloren und nun auch ihr Refugium verlassen. Doch etwas Neues hat Jeanne (Clara Pacini) nicht gefunden. Die Jugendliche flieht nicht das erste Mal aus dem Waisenhaus, das mitten in den Alpen liegt. Sie drückt einem der jüngeren Mädchen eine Perle aus der Kette ihrer toten Mutter in die Hand und fährt per Anhalter in die Stadt. An der Eisbahn, die Jeannes einziger Anlaufpunkt ist, leuchten die Lichter der Stadt; die Hammond-Orgel dudelt nostalgisch „It’s Five O’Clock“ von Aphrodite’s Child. Doch als das Licht ausgeht und das Mädchen, von dem sich Jeanne einen Schlafplatz erhoffte, ohne sie verschwindet, ist die Waise wieder allein und ohne Refugium.

Ein Spalt in der Wand

Einen Schlafplatz findet sie dennoch. Durch einen Fensterspalt steigt sie in eine Halle hinein, die zunächst wie ein Fundus aussieht. Sie legt sich auf ein Kleid, das jemand achtlos zwischen die Stellwände geworfen hat. Tatsächlich liegt Jeannes Schlafplatz hinter einem Filmset und damit exakt an dem Ort, an dem die Regisseurin Lucile Hadžihalilović ihren Film verortet: zwischen der magischen Welt des Märchens und der prosaischen Realität, aus der sie gebaut ist.

Durch den Spalt in der Wand sieht Jeanne das Märchen. Sie sieht die Filmdiva Cristina (Marion Cotillard) als Schneekönigin, als die Verkörperung jener Märchenfigur, von der Jeanne seit jeher besessen ist. Das alles erscheint ihr wie ein Traum. Bis die Königin oder eben die Schauspielerin ihren Blick auf Jeanne richtet.

„La Tour de Glace“ wandelt zwischen den Welten, zwischen Filmset und dem unendlichen Reich aus dem Märchen von Hans Christian Andersen – und auch wie in dem Märchen zwischen Traum und Realität. Die Inszenierung wechselt dabei mühelos die Register. Die Bilder von Jonathan Ricquebourg verwandeln das Pappmaché-Türmchen des Studios in einen Monolithen aus dem unendlichen Reich, über das die gottgleiche Schneekönigin herrscht (und wieder zurück). Marion Cotillard stülpt sich die ätherische Schönheit und die eiskalte Grausamkeit der Königin über, um sie kurz darauf als die unnahbar-fragile Schauspieldiva Cristina wieder fallen zu lassen.

So magisch wie gefährlich

Jeanne ist verzaubert von der Schneekönigin und bald darauf besessen von der Diva. Vom ersten Moment an sieht sie die Magie und die Gefahr, die aus den Augen der Königin sprechen. Jeanne weicht diesem Blick zunächst aus, um ihn dann wieder und wieder zu suchen. Sie gibt sich als Statistin aus, schleicht sich in die Quartiere der Diva, sieht sie weinen und zieht an der Zigarette, die diese zurücklässt.

Der Rest der Filmcrew vermutet nichts hinter Jeannes Schwindel. Allein Cristina erkennt das Mädchen als fremdes Gesicht. Sie hilft Jeanne, macht sie zur Nebendarstellerin, lässt sie aber, als Jeanne glaubt, eine Freundin oder gar Ersatzmutter gefunden zu haben, wieder und wieder alleine zurück. Was will Cristina von Jeanne?

„La Tour de Glace“ ist um diese Frage herum gebaut. Hadžihalilovićs eigene Marke der Slow-Cinema-Fantastik legt sich passgenau über das ambivalente Verhältnis zwischen Diva und Waise. Die dazugehörigen Bilder hypnotisieren als tiefes Blau, das über Schneelandschaften liegt; als Blutstropfen, die mit dem Schnee um die Wette funkeln, und immer wieder als das Licht, das mit den Farben der örtlichen Eisbahn und der eigenen Dispersion im Schliff eines Diamanten spielt.

Die unbewusste Wiederholung

Auch wenn „La Tour de Glace“ deutlich weniger undurchsichtig ist als Hadžihalilovićs vorheriges Werk „Earwig“, bleibt der Film in seiner Kunstfertigkeit distanziert. Die minutiös konstruierte Traumwandlung führt oft nur an die Ränder des Geschehens, bietet lediglich den Rahmen, durch den man auf das Geschehen blickt, das allzu oft weit entfernt erscheint. Wirklich verwundbar macht sich der Film nur ein einziges Mal. Jeanne ist als kleines Mädchen zu sehen, wenn ihre Mutter stirbt. Regungslos liegt sie auf dem Bett und reagiert nicht auf Jeannes Flehen, nicht auf ihre Tränen und auch nicht darauf, dass ihre Tochter ihre Arme um sie legt und ein letztes Mal die Liebe sucht, die sie nicht mehr bekommt. Die unbewusste Wiederholung dieses Traumas bringt Jeanne der Königin und der Diva, die sie verkörpert, gefährlich nah. Nah genug, um eine Märchenwelt hinter dem Pappmaché sichtbar zu machen, aber nie nahe genug, um den Schmerz der Waisen wirklich zu spüren.

Veröffentlicht auf filmdienst.deHerz aus EisVon: Karsten Munt (21.10.2025)
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