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Filmkritik
Was wurde eigentlich aus all den Säuglingen, die vor 15 bis 20 Jahren in teuren Marken-Kinderwägen hektisch durch den Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg geschoben wurden? Von Müttern, deren Grundnahrungsmittel angeblich Latte Macchiato war, während Papa mit dem Lastenrad den bundesweit als „Bionade-Biedermeier“-Idyll belächelten Bezirk optisch komplettierte?
Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ widmete damals der Eröffnung eines Kinderspielplatzes im „Prenzlberg“ fast eine ganze Seite. Hier schien Großes zu passieren – oder vielleicht doch einfach: nichts. Fast zwanzig Jahre später berichtet in derselben Zeitung eine dort aufgewachsene junge Frau von ihrer Ausbildung bei der Bundeswehr und dem „guten Gefühl“, ein Gewehr in der Hand zu halten. Eine andere junge Berlinerin, die Regisseurin Stella Marie Markert, legt jetzt mit „Danke für nichts“ ein prachtvoll beschädigtes Porträt ihrer Generation vor. Das aber zugleich so zeitlos und facettenreich von Lebenshunger und Überforderung erzählt, dass es auch Menschen jenseits der 25 Spaß macht. Denn in Zeiten steigender psychischer Erkrankungen ist Nichtklarkommen längst kein Privileg der Jugend mehr.
Wenn man Gedanken lesen kann
So beiläufig runtergerockt wie hier hat Berlin-Prenzlauer Berg im Kino schon lange nicht mehr ausgeschaut. Zwischen Plattenläden, psychologischer Praxis und Graffiti-verschnörkelten Hauseingängen leben junge, fragile Gestalten, deren Eigenschaften die Regisseurin aus ihrem eigenen Umfeld kennt. Da ist Scheidungskind Katharina (Lea Drinda), deren blonde Niedlichkeit mit ihrem Hang zum Todeskult kontrastiert. Die adlige, bipolare Vicky (Sonja Weißer) hingegen verwandelt sich in ihrem roten Gemach mit Monstera-Pflanzen jedes Mal in ein Gustav-Klimt-Gemälde, sobald sie und ihr langes Haar in die Kissen sinken.
Ricky (Safinaz Sattar) wiederum, mit ihrem Dead-Pan-Gesichtsausdruck und einem demonstrativ nicht eingerichteten Zimmer, liebt Frauen und gibt mackerhaft den Ton an. Und die stumme Malou (Zoe Stein), die nur scheinbar im Hintergrund bleibt, trägt als weiblicher Nerd ausschließlich gestreifte Oberteile. Ihre drei Freundinnen haben längst gelernt, Malous Gedanken zu lesen; ihre halbstummen Dialoge sind ein gelungener Regieeinfall und durchlaufen während des Films eine eigene dramatische Metamorphose.
Alle vier leben in einer betreuten Wohngruppe in einem schon lange nicht mehr sanierten Altbau. Überquellende Aschenbecher, ein vom Amt genehmigtes, nicht einmal schnurloses Festnetztelefon aus den 1990er-Jahren, ein alter Gasherd und zusammengeklaubtes Mobiliar verströmen den Charme längst verblasster Hausbesetzer-Nostalgie. Von Sozialrealismus will die Inszenierung nichts wissen. Markert entdeckt vielmehr ziemlich lässig Kinoreferenzen. Wie im französischen Kino der 1960er- und 1970er-Jahre wird mit oft emotionslosem Gesichtsausdruck den unausweichlichen Katastrophen entgegengeraucht oder geflucht wie in alten Western. Der Abschlussfilm an der Filmhochschule Konrad Wolf wirkt ein bisschen wie „Hanni und Nanni“ als Film noir und ist in seiner trockenen, aber zugleich zärtlichen Tonalität doch außergewöhnlich ausgereift.
Negative Pappenheimer: „Die Erwachsenen“
Jan Bülow als völlig unrealistischer Sozialarbeiter Ballack wirkt ebenfalls mehr wie eine reine Kinofigur, ein Elvis-Verschnitt in zu eng sitzenden weißen Anzügen, mit getönter Brille und weißem Cabriolet. Eine buchstäbliche Projektionsfläche, für „die Erwachsenen“ wie für die Mädchen. Immer wenn das Amt in Gestalt einer mitleidlosen Kathrin Angerer und einer argwöhnischen Sophie Rois wieder Nachweise verlangt, versucht er dem weiblichen Quartett den Rücken freizuhalten.
„Die Erwachsenen“ kommen dabei reichlich klischeehaft und durchweg negativ weg, so auch die Eltern in kurzen, aus dem Off erzählten Anekdoten aus der Kindheit der Protagonistinnen. Jedes der vier Kapitel ist einer der Freundinnen gewidmet. Kurz und pointiert geschnitten, geben die vorangestellten Rückblenden einen Einblick und zugleich eine Art schulterzuckende Erklärung für den desolaten Zustand der vier. Doch Markert schafft es, vom Düstersten komisch zu erzählen, und doch zugleich so ernsthaft, dass Gründe plausibel werden, weiterzuleben. Das nämlich ist das eigentliche Thema: Argumente fürs Weitermachen zu finden, das sich nicht von selbst versteht.
Und sei es ein heftig berlinernder Typ namens Bela (Ludger Bökelmann): Der hält zwei Hühner und kann schon deshalb bestens mit stummen Menschen wie Malou umgehen. Oder Katharinas Freund Schliemann (Pablo Striebeck), der beim Knutschen auf der Friedhofsbank einen roten Suhrkamp-Band in die Kamera hält: E.M. Ciorans „Vom Nachteil, geboren zu sein“.
Melancholie, schwarzer Humor, unbändige Kraft
Das Durchbrechen der vierten Wand ist ein inszenatorisches Mittel, das es den Figuren erlaubt, Mutmaßungen über die Lage anzustellen. Der Film verwendet es ausschließlich, um über den Grund von Katharinas Selbstmordversuchen spekulieren zu lassen, was „Danke für nichts“ eine fast musikalische, refrain-artige Struktur verleiht: Geht es Katharina um das Erheischen von Aufmerksamkeit, wie die missgünstige Gina (Chenoa North-Harder) mutmaßt? Oder liegt es daran, dass sie „noch niemand gefragt hat, ob sie wirklich leben will“?
Die lakonischen Kurzbiografien aus den vier kaputten Kindheiten kontrastieren mit den in langsamer Unruhe erzählten Kammerspiel-Szenen, die von Edgar Fischnaller und Jonas Kolahdoozan fotografiert wurden. Dieselbe Sorgfalt, mit der das Drehbuch die Charaktere sprachlich formt, findet sich auch im Szenenbild von Fritzi Heubaum und den Kostümen von Sophie Peters. Räume und Kleider als Hüllen und Abgrenzungen charakterisieren Habitus und Weltverhältnis auf einem schmalen, aber virtuos gemeisterten Grat zwischen ulkiger Theatralik und Realismus.
Markerts Schwester Rosa Lee Luna hat mit ihrem zarten, an Portishead erinnernden Indie-Pop einen klanglich stimmigen Soundtrack geschaffen. Zusammen mit den im Film gehuldigten Interpreten wie Françoise Cactus oder Rio Reiser entsteht eine Mischung aus Melancholie, schwarzem Humor und unbändiger Kraft. Daran können auch ältere oder künftige Generationen anknüpfen, sofern sie nicht vergessen, dass sich niemand die Zeit aussuchen kann, in die man hineingeboren wird.



