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Das Verschwinden des Josef Mengele

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Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelang Josef Mengele, dem NS-Arzt, der im Vernichtungslager Auschwitz praktiziert hatte, die Flucht aus Deutschland. Mit Hilfe von SS-Soldaten und der Unterstützung wohlhabender südamerikanischer Familien ging er nach Argentinien, um unterzutauchen. Von Buenos Aires nach Paraguay, mit Aufenthalten im brasilianischen Urwald, organisierte der sogenannte Todesengel sein methodisches Verschwinden und entging jeglicher Form von Prozess.
  • Veröffentlichung23.10.2025
  • Kirill Serebrennikov
  • Deutschland (2025)
  • 135 Minuten
  • DramaHistorie
  • FSK 12
  • 5.6/10 (42) Stimmen
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Die Gebeine sind das Erste, was man von Josef Mengele sieht. An der Rechtsmedizinischen Fakultät der Universität von São Paulo dient das Skelett des Nazi-Kriegsverbrechers als Lehrmaterial der Schulmedizin, lehrt Studentinnen, wie sich von menschlichen Überresten auf die Identität eines Menschen schließen lässt. Für Filmemacher Kirill Serebrennikow ist das mehr als die bitter-ironische Fußnote der Geschichte Mengeles, der Zeit seines Lebens nie für seine Gräueltaten zur Verantwortung gezogen werden konnte. Es ist zugleich der Hinweis auf eben das, was die dunkle Faszination ausmacht, die auch heute noch von dieser Figur des Nationalsozialismus ausgeht: Das Enigma Mengele. Kein Dokument der „Arbeit“ des Lagerarztes von Auschwitz-Birkenau hat die Zeit überdauert, die einzigen Fotografien der Zeit stammen aus dem Auschwitz-Album der SS-Offiziere Ernst Hofmann und Bernhard Walter. Die Liste derer, die Zeugnis ablegten über Morde, Menschenversuche und nahezu jedes vorstellbare Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist so lang, dass es kaum fassbar scheint.

Hinter Hut und Sonnenbrille versteckt

Der Film „Das Verschwinden des Josef Mengele“ findet den Mengele aus Fleisch und Blut (verkörpert von August Diehl) in Argentinien: nackt steht er vor dem Spiegel und ist nur ein Bild später hinter Hut und Sonnenbrille versteckt und mit der aktuellen Ausgabe der jüdischen Zeitung „Der Weg“ getarnt, in den Straßen von Buenos Aires unterwegs. Die Tonspur klingt nach Film noir, das Bild ist schwarz-weiß, der Flüchtige blickt sich ängstlich um und pirscht an einer Gruppe orthodoxer Juden vorbei. Mengele kommt durch. Am Flughafen von Buenos Aires wird er durchgewunken, in der Heimat, Deutschland, sogar vom Flughafen abgeholt. Kurz kehrt der „verlorene Sohn“ der Familie Mengele zurück, kann aber, trotz aller Ermutigung – es gebe noch genug Nazi-Größen an der Spitze der Behörden und der Rest Deutschlands könne nicht wirklich eine Demokratie wollen – nicht bleiben.

Immer begleitet vom Zeitgeschehen, das sich aus dem Radio kundtut, zieht Mengele durch Südamerika. Der Film, der das Verschwinden dokumentiert, ist besessen von Hinweisen und Zeitmarkern. Nicht nur das Weltgeschehen muss immer wieder, kommentiert vom jungen und alten Choleriker Mengele, aus Lautsprechern dröhnen, auch die bekannten Orte und Treffen werden ostentativ ins Bild geschoben – ein Hakenkreuz-Kranz hier, dort das Porträt und später die Hausnummer 5555 in der Rua Alguem, São Paulo.

Um ihn Tote und Todgeweihte

Die NS-Zeit selbst ist als Dokument getarnt. Im 4:3-Format zeigen 16mm-Aufnahmen den jungen Mengele in Auschwitz – ohne Ton, nur unterlegt von Streichern. Um ihn herum: Tote und Todgeweihte und die Architektur der industriellen Menschenvernichtung. Ein lachender Mengele selektiert Lagerinsassen, fährt Motorrad und verteilt Aufträge. Später, nicht mehr vom pseudo-dokumentarischen Rahmen eingeschlossen, ist Mengele mit der geliebten Ehefrau Irene (Dana Herfurth) am See. Ein bisschen müde sei er, vielleicht könnte er sich ein paar Tage frei nehmen, Irenes Marmelade und ihre Kochkunst genießen und ein weiteres Mal nackt mit ihr durch die Laken rollen. Ein Leben, das der meistgesuchte Kriegsverbrecher der Nazizeit auch in Buenos Aires fortsetzen kann: die Kumpels aus dem dritten Reich kommen zur Hochzeitsfeier, rücken noch einmal bei Schaumwein und Judenhass unterm Hakenkreuz zusammen.

Dann wird Adolf Eichmann gefasst. Mengele flieht nach Paraguay. Die Ersatzfrau Martha (Friederike Becht) macht bald Zicken: Sie hasst das Wetter und die Spinnen. Josef schreit wieder rum. Bald ist er dann allein. Eine gute Gelegenheit für den Film, den Mythos zu entzaubern, seinen Mengele Krokodilstränen weinen zu lassen, ihm Verdauungsprobleme zu verpassen und ihn beim Einsamsein in Südamerika zu beobachten. Eine Existenz, die überhaupt erst mit Hilfe der vielen Kollaborateure möglich wird.

Die besten Momente lassen das Nazi-Psychogramm liegen und den schreienden Opa verstummen, um an den Rändern des Mengele-Exils die Geschichte eben dieser Kollaborateure zu finden. Da sind Opportunisten wie das ungarische Ehepaar Stammer, die den Kriegsverbrecher decken und buchstäblich mit ihm ins Bett steigen, um die Bildung der Kinder und die eigene Fazenda finanzieren zu können; die Trittbrettfahrer und Hitler-Verehrer, die Mengele aus rein ideologischer Überzeugung helfen und auch dort immer noch „Heil Hitler!“ brüllen, wo der Alte nur noch schlecht gelaunt abwinkt.

Bei der Ankunft Schüttelfrost

Das Zentrum des Films ist um den Besuch des Sohns Rolf (Max Bretschneider) gestaltet. Bei seiner Ankunft hat er Schüttelfrost, schleift sich durch das Haus, während Papa in den Fernseher starrt. Dann rollen die Monologe an: Vater und Sohn sollten sich lieben, das mit den Juden sei alles Lügen und allein Juden und Amerikaner schuld; Krieg sei eben Krieg, er, Josef, habe nur seine Pflicht getan, Menschen geholfen, er sei schließlich Arzt. Rolf ist genervt, aber hörig genug, sich im Anschluss den Haarschnitt verpassen zu lassen, den Papa verlangt. Mit geschorenem Kopf serviert er dann die Schlüsselfragen: Was hast du in Auschwitz gemacht, Papa? Hast du Kinder umgebracht, Babys bei lebendigem Leib verbrannt? Kurz baut sich eine Spannungskurve um die Fragen des Sohns: Sieht der Vater doch noch ein, dass er ein Monster ist? Kann er gestehen, die abscheulichsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte begangen zu haben? Hat Josef Mengele ein Restgewissen? Als Antwort gibt es freilich nur die „verdinglichte“ Sprache der Nazis und der Studentensohn darf einmal mehr fleißig mit den Augen rollen.

Serebrennikow baut sich aus allen Erzählebenen ganz unbedarft einen Nazi-Prototypen nach Hannah Arendt zusammen: einen realitätsfernen, hörigen Karrieretypen, der ohne sichtbare Motive die größten Verbrechen begeht, um sie mit dem angelernten Jargon vom eigenen Gewissen abzukoppeln, und den „Hanswurst“ mit Verstopfung und Potenzproblemen. Nur ist Serebrennikow eben nicht Beisitzer des Eichmann-Prozesses, sondern Filmemacher, der Olivier Guez’ Romanvorlage verfilmt. Seine Auseinandersetzung mit Mengele ist nicht das Ergebnis der „Sprach- und Heimatlosigkeit“, die Arendt empfand. Aber was sonst? Nicht viel.

Mensch und Monster

August Diehl spielt sich den Wolf, um den Menschen aus dem Monster und dann wieder das Monster aus dem Menschen zu hervorzuzerren, ersteren in den Farbbildern, die ihn als glücklichen jungen Mann im Wechsel mit der Peripherie des Grauens von Auschwitz zeigen, letzteres dann ohne Farbe und Freude in der Einsamkeit des Alters. Der Film hängt sich dankbar an Diehls Auftritt, sammelt sich aus den durch ihn getragenen Momentaufnahmen einen Film zusammen, der wenig mehr will, als zu zeigen, dass ein Mensch wie Mengele leben und überleben konnte. Natürlich ist das historisch bedeutsam – der Film dazu ist es nicht.

Veröffentlicht auf filmdienst.deDas Verschwinden des Josef MengeleVon: Karsten Munt (15.10.2025)
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