- RegieOrkhan Aghazadeh
- ProduktionsländerDeutschland
- Produktionsjahr2024
- Dauer87 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- AltersfreigabeFSK 0
- IMDb Rating7.0/10 (16) Stimmen
Vorstellungen
Filmkritik
Aserbaidschan liegt zwischen dem Kaukasus und dem Kaspischem Meer, zwischen Europa und Asien. Wie beeindruckend diese Gegend ist, konnte man schon in dem Dokumentarfilm „Landshaft“ von Daniel Kötter entdecken, der allerdings in dem benachbarten Armenien spielt. Dort waren ständig mächtige Berge im Hintergrund zu sehen; in „Die Rückkehr des Filmvorführers“ von Orkhan Aghazadeh kommt man jetzt dorthin. Der aserbaidschanische Regisseur legt den ganzen Film ganz in die raue Weite und in Dörfer, zu denen weder Autos noch Satellitenschüsseln vordringen.
Dort lebt der Fernsehmechaniker Samid, der vor über dreißig Jahren einen anderen Beruf ausübte: Er war der Filmvorführer in seinem Dorf, das damals ein eigenes Kino besaß. Die alten Menschen erinnern sich noch an die Einrichtung, durchaus mit Sehnsucht. Aghazadeh lauscht den Gesprächen über ihre Filmerfahrung, und man findet darin wenig Unterschied zu dem, wie sich Cinephile überall auf der Welt unterhalten: Sie sprechen über Glücksmomente oder ein Staunen, über Bilder auf der Leinwand und ihr Fortbestehen in der Erinnerung. Aber all das liegt in der Vergangenheit.
Das Kino verführt Menschen
Die Jugend im Dorf weiß nichts von solchen Schätzen; denn es gibt ja kein Kino mehr. Aber die jungen Leute besitzen natürlich alle ein Handy. Deshalb kommt es während einer Plauderei zwischen Samid und dem jungen Ayaz auch zu der Frage, ob man einen Film vom Smartphone aus nicht als große Projektion zeigen könnte. Das ist der Beginn einer Wiedererweckung des Kinos, denn Samid will seine alten Projektoren aus der Rumpelkammer holen und sie reparieren, um wieder Filme ins Dorf zu bringen. Ayaz ist von dieser Idee so begeistert, dass er seine Schulpflichten arg vernachlässigt, um Samid zu helfen. Und schon bekommt er zuhause Ärger.
Man sieht hier, wie das Kino Menschen verführt, wenngleich nicht zum Müßiggang. Ayaz macht bald eigene Trickfilme, befasst sich mit der Technik, interessiert sich für Licht und entwickelt Ideen, die ihn über sein Bergdorf hinausführen könnten. Auch Orkhan Aghazadeh wurde von seiner Leidenschaft für Filme bis nach London getragen, wo er die Filmhochschule besuchte. Solche Erfahrungen spiegeln sich in „Die Rückkehr des Filmvorführers“; man ahnt, was für Möglichkeiten sich auftun, wenn man sich mit Film näher befasst, welche Veränderungen das in der Realität hervorruft.
Ein Film über das Warten
Der Plan, ein Kino zu eröffnen, beflügelt das ganze Dorf. Die Mechanik kommt in Betrieb, eine Leinwand wird genäht, über die Filmauswahl wird gesprochen. Lediglich die Projektionslampe macht Probleme. Samid braucht eine neue, und zwar eine ganz bestimmte, die für den Projektor geeignet ist. Doch die ist nirgends erhältlich. Außer im Internet, das aber in den Bergen schwierig zu erreichen ist. Doch gelingt es Samid, Lampen zu bestellen, bevor der Winter zu Ende geht. Das allerdings führt noch lange nicht zu gemütlichen Nächten im Projektionslicht. „Die Rückkehr des Filmvorführers“ unterläuft den Glauben an Geschwindigkeit; es ist ein Film über das Warten.
Denn die Lieferung der Lampen geschieht nicht im Tempo westlicher Gewohnheit. Es wird Frühling, man lernt die Bräuche im Dorf kennen, es wird Sommer, das Jahr zieht vorbei. Man kommt in die Häuser der Menschen, sieht recht dokumentarisch ihrem entspannten Alltag zu, während die Hoffnung auf eine Filmvorführung allmählich schwindet. Man lernt dabei auch etwas über die Reaktionen auf das Warten – Optimismus, Resignation oder Wut; im besten Fall setzt es Handlungen in Gang. So fährt Samid bis in die Großstadt Baku. Hier starb vor zwei Jahren sein Sohn bei einem Arbeitsunfall. Doch erst jetzt ist Samid bereit, mit dessen Freunden darüber zu sprechen.
Die Schönheit der Welt
Parallel dazu macht Aghazadeh amüsante Ausflüge in andere Genres. Ein bisschen Fantasy beim Herstellen von Handyfilmen, ein bisschen Katastrophe, wenn Samid vor immer neuen Hürden steht, und eine emotionale Coming-of-Age-Freundschaft kommt auch noch dazu. Der Film schafft es, all das in Bilder zu setzen, denen man die Kraft des Kinos ansieht, von der sie erzählen. Das Format ist CinemaScope, die Einstellungen sind durchdacht und poetisch zugleich, der Kameramann Daniel Guliyev wurde für diese Arbeit mit dem „Deutschen Kamerapreis“ 2024 ausgezeichnet. Am Ende weiß man auch seinetwegen etwas über die Schönheit, die Filme sichtbar machen können – sofern das künstliche Licht ausreicht, um sie auf die Leinwand zu bringen.