Element of Crime - Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin
- RegieCharly Hübner
- Dauer95 Minuten
- GenreDokumentarfilmMusik
- AltersfreigabeFSK 12
Cast
Vorstellungen
Filmkritik
Einerseits, andererseits. Einerseits ist alles ganz einfach. Eine sehr erfolgreiche, bestens etablierte Popband beschließt zur Feier ihres etwa 40-jährigen Bestehens eine kleine Extravaganza, nämlich eine Tournee durch fünf Berliner Clubs unterschiedlicher Größe, was üblicherweise die Karrierestationen auf dem Weg zum Erfolg nachzeichnet und hier auch so gemeint ist. Mit der Dokumentation dieser „relativ schnell ending Tour“ wird ein Filmemacher beauftragt, der einerseits Fan der Band, andererseits aber eigensinnig genug ist, um kein konventionelles Porträt zu drehen, sondern eine Art atmosphärisches Äquivalent zur Ästhetik der Band anzustreben. Im Pressematerial bestätigt die Band dann auch, dass das Filmporträt ausgesprochen gelungen sei. Andererseits erfährt jemand, der sich für die Musik der Band nicht recht erwärmen kann und bis auf Sven Regener keines der Mitglieder beim Namen kennt, erstaunlich wenig Neues oder gar Interessantes.
Die bekannteste unbekannte Band Deutschlands
Einerseits ist da der supersympathische und vielseitig interessierte Charly Hübner, der nach eigenen Angaben keine Sekunde zögerte, als die Band „Element of Crime“ mit der Bitte an ihn herantrat, die Musiker auf ihrer kleinen Berlin-Tournee mit der Kamera zu begleiten. Während die Gruppe gern damit kokettiert, die bekannteste unbekannte Band Deutschlands zu sein, ist das dem 1972 in Neustrelitz geborenen Charly Hübner komplett egal, weil er seit Ewigkeiten ein Fan ist. Und zwar schon seit Zeiten, als die Mauer noch stand, denn „Element of Crime“ hängt durch ihr Alter immer noch am imaginären Tropf der „Halligalli-Zeit“ (Hübner) vor dem Mauerfall, als West-Berlin noch Frontstadt ohne Sperrstunde und ohne Wehrpflicht war. Und ein ziemlich bunter Haufen von Bohemiens das alimentierte Rentnerparadies West-Berlin in einen kreativen Jungbrunnen zu verwandeln versuchte.
Ganz West-Berlin? Nein, denn nach Charlottenburg oder Zehlendorf zog es niemanden, und selbst Kreuzberg 61 war noch zu bürgerlich. Letztlich ging es wesentlich um Kreuzberg 36, den Stadtteil, der von drei Seiten von der Mauer eingeschlossen war. Obwohl, wie man nebenbei erfährt, auch Schöneberg nicht ohne war, weil dort die zentralen Veranstaltungsorte der Szene lagen.
Geschichten aus dem alten Berlin
Das sind Geschichten aus dem alten Berlin, die Charly Hübner erst erzählt werden müssen, da er sie selbst nicht erlebt hat. An diesem Punkt zeigt sich, wie clever die Wahl Hübners als Regisseur war, weil dies den Musikern erlaubt, im relativen Abseits und irgendwie unsichtbar zu bleiben, obwohl sie in jeder Einstellung zu sehen sind. Auch bei der PR für den Film wird über Bande gespielt: Die Interviews in den Feuilletons übernimmt der Filmemacher Charly Hübner.
Damit wird die Bandgeschichte zur Stadtgeschichte zur Popmusikgeschichte. Die einschlägigen Anekdoten stehen zur Verfügung und erlauben etwa folgende Erzählung: Mit dem kommerziellen Ausverkauf der Neuen deutschen Welle war die deutsche Sprache auf Jahre hin verbrannt. Wer gerade noch deutsch gesungen hatte, musste zusehen, wo er blieb. Erst Ende der 1980er-Jahre, also quasi zeitgleich mit der Hamburger Schule und dem deutschsprachigen Hip-Hop wurde das Deutsche als Material wieder interessant und singbar.
Vor dieser Folie liest sich die Geschichte von „Element of Crime“ ungefähr so: In den Jahren vor der Gründung der Band war in West-Berlin offenbar No Wave und Free Funk angesagt. Auf „The Velvet Underground“ konnten sich die Musiker bandintern immerhin einigen, was um 1985 herum aber wohl für jede zweite Band galt. Trotzdem war die Begegnung mit John Cale als dem Produzenten des Albums „Try to be Mensch“ (1987) eine Art Ritterschlag.
Es wird viel geplaudert
Es wird viel geplaudert in „Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“. Die Band, die davon erzählt, „keine Lösungen, sondern Lieder“ zu haben, hält den Ball bewusst flach. Wenn hier eine Punkband im Körper einer Singer/Songwriter/Chanson-Band gefangen ist, wie Hübner einmal insinuiert, dann hat das weniger mit ihrer Ästhetik als vielmehr mit einer Haltung zu tun, einem Restbestand des Widerspruchsgeists der frühen 1980er-Jahre. Diese Verweigerungshaltung hat sich „Element of Crime“ bei Bob Dylan abgeguckt. Der Name Dylan fällt zweimal in dem Film; einmal nicht unbedingt als Kompliment.
Eindrucksvoll ist allerdings die Sorge, in falsche Schubladen oder überhaupt in Schubladen einsortiert zu werden. „Element of Crime“ gelten als Melancholiker mit leicht norddeutscher Lakonie, was mit Regeners Herkunft aus Bremen zu tun hat. Immer wieder wird darauf hingewiesen, den Humor in ihrer Musik bitte ja nicht zu überhören, aber auch das Gesellschaftliche darin nicht zu unterschätzen. Und, da wird der Film ganz bestimmt, auch nicht das gediegen Handwerkliche in der Musik und bei den Texten. Auch wenn das Auftreten von „Element of Crime“ noch so lässig erscheint, geht es doch immer um eine Form der Perfektion.
Nachdem man seit vielen Jahren den Status eines Elder Statesman in Sachen Songwriting hat, wird auch der Nachwuchs gefördert. Wenn die Chemie stimmt und wenn eine Liebe zum Song erkennbar ist. Auf die Tour de Berlin hat sich „Element of Crime“ Gäste eingeladen: Maike Rosa Vogel, Isolation Berlin, Florian Horwath, Von Wegen Lisbeth, Ansa Sauermann und Steiner & Madlaina. Keiner der Eingeladenen klingt auch nur entfernt wie „Element of Crime“, aber alle dürfen kurz ausführen, wie wichtig der Sprachwitz von Regener & Co. für die eigene Kunst (gewesen) ist.
Bei „Bio’s Bahnhof“
Je nach Temperament kann man die Beharrlichkeit und die ausgestellte Unaufgeregtheit von „Element of Crime“ geheimnisvoll oder geheimnislos finden. „Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“ bietet beide Perspektiven an. Allerdings sei abschließend zumindest kurz vermerkt, dass es zu Zeiten eines funktionierenden Pop-Diskurses mit avancierten Magazinen keiner besonderen Anstrengung bedurfte, „Element of Crime“ komplett zu ignorieren. Ein Indiz dafür ist, dass die Alben-Cover und Alben-Titel mit Ausnahme von „Weißes Papier“ (1993) nahezu unbekannt sind. Das Cover von „Weißes Papier“ suggerierte seinerzeit drohend Kleinkunst, Zirkus und Tom Waits. Für Berlin mit deutlich spannenderen Haltungsnoten gab es damals schließlich eine Band wie „Mutter“ und für die etwas geschliffenere Poesie Gruppen wie „Kolossale Jugend“, „Blumfeld“ oder „Erdmöbel“. „Element of Crime“ mit ihrer spröden Selbstgefälligkeit waren bei „Bio’s Bahnhof“ besser aufgehoben als in der „Spex“. Der Film „Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“ führt das noch einmal nachdrücklich vor Augen wie Ohren.