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Friedas Fall

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Im Jahr 1904 steht der Fall der jungen Näherin Frieda Keller im Brennpunkt einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung über Recht und Gerechtigkeit. Staatsanwalt Walter Gmür und Verteidiger Arnold Janggen sehen sich nicht nur mit beruflichen, sondern auch persönlichen Herausforderungen konfrontiert, die ihre Auffassung von Moral und Gleichheit hinterfragen. Erna Gmür, die Ehefrau des Staatsanwalts, entdeckt in ihrer Zuneigung zu Frieda die Wahrheit über Ungerechtigkeiten, die Frauen zu ertragen haben. Gesine Janggen, die Frau des Verteidigers, setzt sich entschlossen für Friedas Rechte ein und drängt ihren Ehemann, für Gleichstellung vor Gericht zu kämpfen. Die öffentliche Aufmerksamkeit, verstärkt durch Proteste und grenzüberschreitende Berichterstattung, stellt das patriarchale Rechtssystem in Frage und bringt die Anwälte an den Rand ihrer Fähigkeiten. Inmitten dieses Tumults setzt sich ausgerechnet Staatsanwalt Gmür für Friedas Gnadengesuch ein. Enthüllt wird ein heuchlerisches System, das Männer schützt und Frauen für Taten verurteilt, für die sie nicht allein verantwortlich sind.
Diese Geschichte hinterfragt die Rolle der Frau in der Gesellschaft sowie den Umgang mit Scham und Moralvorstellungen. FRIEDAS FALL ist nicht nur die wahre Erzählung eines tragischen Schicksals, sondern auch ein Spiegel gesellschaftlicher Debatten über Gleichstellung, die bis in die heutige Zeit fortwirkt.
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Als die Polizei am 14. Juni 1904 in St. Gallen vor der Tür der Wohnung steht, in der die Schneiderin Frieda Keller mit ihrer Schwester und ihrem Schwager wohnt, zieht Frieda ihre Schürze aus und lässt sich widerstandslos abführen. „Ich war es“, murmelt sie beim Verlassen der Wohnung ihren verdatterten Familienangehörigen zu. Sehr viel mehr bringt in den Wochen bis zur Gerichtsverhandlung auch der Staatsanwalt Walter Gmür aus der damals 24-jährigen Frau nicht heraus.

Ein exemplarischer Fall

„Friedas Fall“ von Maria Brendle führt entlang realer Ereignisse in eine historische Schweiz, deren damals herrschende Zustände man sich aus heutiger Sicht kaum mehr vorstellen kann. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts herrschte in der Schweiz ein rigoroses Patriarchat. Obwohl die Frauen bereits damals um ihre Rechte kämpften, billigte man ihnen erst 1971 das Stimmrecht zu. Zivilrechtlich sind Frauen in der Schweiz den Männern sogar erst seit 1988 gleichgestellt. Schlimmer noch als für verheiratete Frauen war die Situation für Unverheiratete mit einem Kind. Die außereheliche Zeugung galt als illegitim und war somit eine Schande. An der Schwangerschaft schuldig war – auch im Falle einer Vergewaltigung – grundsätzlich die Frau. Verheiratete Männer, die fremdgingen und dabei ein Kind zeugten, konnten vor Gericht nicht zur Rechenschaft gezogen werden.

Erst mit der zweiten Revision des Kindsrechts im Jahr 1978 wurden in der Schweiz außereheliche Kinder den ehelich gezeugten rechtlich weitgehend gleichgestellt und gelten seither nicht mehr als illegitim. Um den von Brendle filmisch aufbereiteten Fall der Kindsmörderin Frieda Keller (1879-1942) heute nachvollziehen zu können und seine Tragweite zu erfassen, muss man diese Dinge im Kopf behalten. Kellers Schicksal dürfte dabei exemplarisch für das vieler anderer Frauen und ihrer Kinder stehen, denen es damals ähnlich ergangen ist.

Frauen setzen eine andere Sicht durch

Der Film setzt mit der Befragung von Frieda Keller (Julia Buchmann) durch den Staatsanwalt Walter Gmür (Stefan Merki) ein. Im Fokus von „Friedas Fall“ steht dabei die Zeit zwischen Kellers Festnahme im Juni 1904 und der Urteilsverkündung im November desselben Jahres. Was davor geschah – auch die von Keller nie bestrittene Tat – , wird in Form von Erinnerungen und Träumen in Rückblenden thematisiert. Am meisten treibt den Staatsanwalt dabei die Frage um, was Frieda Keller gut fünf Jahre, nachdem sie ihrem Sohn Ernst im Mai 1899 das Leben geschenkt hat, dazu brachte, ihm dieses wieder zu nehmen.

Doch es ist nicht Gmürs unerbittliches Nachfragen und Bohren, welches das wirkliche Geschehen und damit Kellers materielle, vor allem aber auch seelische Notlage als alleinstehende Mutter an den Tag bringt. Es ist vielmehr seine Gattin Erna (Marlene Tanczik), die Keller während der Untersuchungshaft fürsorglich betreut und ihren stur den Gesetzen folgenden Gatten dazu bringt, den Fall auch aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Und es ist die frisch angetraute Ehefrau von Kellers Verteidiger Arnold Janggen (Max Simonischek), die ihn drängt, Keller zu verteidigen und Gerechtigkeit für sie zu fordern, selbst wenn dadurch das geltende Rechtssystem in Frage gestellt werden muss.

Damit verändert sich die kriminalistische Erzählung über eine Kindsmörderin zu einem spannenden Diskurs über Auffassungen und Fragen, die die gesellschaftliche Ordnung und Moral betreffen. Etwa über die Ungerechtigkeit, die einer blutjungen und aus heutiger Sicht zweifellos schuldlos Mutter gewordenen Frau widerfährt. Über die daraus erstehende Scham und die gesellschaftliche Schande, die zunehmend ihr Lebensgefühl bestimmt. Die sie in ihrer Not schweigen und lügen lassen, bis zu dem Moment, in dem es für sie und ihren Sohn scheinbar keinen Weg mehr gibt.

Akkurat und tiefgehend

„Friedas Fall“ schreibt sich in eine Reihe von vor allem von Frauen gefertigten Schweizer Spielfilmen ein, die sich mit historischen Frauenschicksalen und der Geschichte oder Rolle der Frauen in der Schweiz auseinandersetzen – von Gertrud Pinkus' „Anna Göldin – Letzte Hexe“ über Petra Volpes „Die göttliche Ordnung“ bis zu „Jakobs Ross“ von Katalin Gödrös und „Hallo Betty“ von Pierre Monnard

Brendle hat schon in ihrem Kurzfilm „Ala Kachuu – Take and Run“ eindringlich von gesellschaftlichen Zwängen erzählt, die das Schicksal einer Kirgisin bestimmen. Das tut sie nun auch in ihrem ersten Langspielfilm. Zu großen Teilen wurde „Friedas Fall“ in St. Gallen an den historisch korrekten, noch heute eindrücklichen Schauplätzen gedreht: im Klosterhof und in der St. Galler Altstadt, im Großratssaal und in einem Büro des Stadthauses. Das Drehbuch schrieb Maria Brendle zusammen mit Robert Buchschwenter und Michèle Minelli. Minelli hat sich mit Kellers Schicksal bereits in ihrem Roman „Die Verlorene“ intensiv auseinandergesetzt. Die filmische Umsetzung ist historisch weitgehend akkurat. Da Keller von Beruf Schneiderin und Näherin war, wurde auch der Kleidung und Mode der damaligen Zeit sorgfältig Rechnung getragen. Julia Buchmann spielt Frieda Keller sehr konzentriert, mit einer starken Präsenz, aber auch einer erstaunlichen Sanftheit. Ihr stehen Rachel Braunschweig als Janggens Ehefrau Gesine und Marlene Tanczik als Erna Gmür zur Seite.

Der Film ist sorgfältig dramatisiert und verfolgt die Phase der polizeilichen Ermittlungen mit großer Geduld. Im Vergleich dazu fallen die Gerichtsverhandlungen und die Urteilsverkündigung am 11. und 12. November 1904 eher knapp aus, ebenso die durchs Urteil ausgelösten Proteste der Bevölkerung und verschiedener Schweizer Frauenorganisationen, sowie die Hektik der im Vorfeld der am 14. November eingereichten Begnadigungsgesuche.

Nicht nur ein historischer Fall

„Friedas Fall“, der auch eine kurze Liebesgeschichte erzählt, die prekären Lebensverhältnisse einer Großfamilie beleuchtet und einen lebhaften Eindruck davon vermittelt, wie Kinder in einer von Ordensschwestern betriebenen Verwahranstalt aufwuchsen, ist spannend und informativ. Die Thematik ist nicht heiter, aber sozialpolitisch wichtig und historisch aufschlussreich. Denn die darin anklingende Reflexion über Recht und moralische Gerechtigkeit, über die Verpflichtungen der Gesellschaft und die Rolle ihrer einzelnen Mitglieder sowie die Diskussion über Frauenrechte und Gleichstellung sind heute mindestens genauso zentral wie anno dazumal.

Veröffentlicht auf filmdienst.deFriedas FallVon: Irene Genhart (22.10.2025)
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