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Filmkritik
„Europa im Mittelalter. Feindliche Hunnen drängen in den Westen.“ So verkündet es eine Schrift auf der Leinwand, bevor die ersten Bilder zu sehen sind. Wer jetzt gleich Fremdenfeindliches vermutet, sieht sich getäuscht. Denn auch in diesem Film liegt der Fokus ganz auf den Burgundern, auf der königlichen Großfamilie im Zentrum des „Nibelungen“-Mythos. Tückisch und böse sind diese Hunnen allerdings schon: das von ihnen gebrandschatzte Dorf erweist sich nämlich als Falle für die burgundische Reiterschar, und König Dankwart wird das erste Opfer eines Films vieler Gemetzel und Toter.
Dass er ihn trotz Mut im Kampf nicht retten konnte, ist ein Trauma mehr für Hagen, den eigentlichen Helden dieses Films. Der „treue“ Hagen, ein zum Waffenmeister und besten Ritter des Burgunder-Reichs gewordenes Waisenkind, wurde von Dankwart einst in die Familie aufgenommen und großgezogen. Am Sarg des Königs schwört er: „Ich werde alles dafür tun, diese Familie zu beschützen.“
Düsternis statt Heroismus
Grau, braun, matschig und farbentsättigt ist die Szenerie über weite Strecken von „Hagen - Im Tal der Nibelungen“, der Düsternis statt Heroismus zelebriert, und dem man mitunter das Dilemma anmerkt, einerseits nicht in die vielen möglichen Fallen zu tappen, mit denen die „Nibelungen“-Story ideologisch belastet ist, andererseits doch ein deutsches Fantasy-Epos sein zu wollen und all die fantastischen Erzählstränge und Möglichkeiten zu entfalten, die im Stoff und seiner Rezeptionsgeschichte offen zutage liegen: Historisch nüchtern sind die „Nibelungen“ eine mythologische Verdichtung der Wirren der späten Völkerwanderung und des zusammenbrechenden Römischen Reichs.
Lesbar sind sie aber auch als traditionelles Epos über Ritter-Ehre und Mannestugend und als kritische Abhandlung zu deren Selbstzerstörung in destruktiven Adelskämpfen. Ferner als Geschichte von Frauenpower und Kampf um Anerkennung des Weiblichen in einer Männerwelt, aber auch über die Folgen weiblicher Rivalität und als Aufklärung darüber, dass weibliche Macht nicht notwendig besser oder anders agiert als männliche. Oder als Darstellung von Varianten des Heldentums zwischen menschlichem Mut und Geschick und dem Wirken von übernatürlichen Kräften. Schließlich als Betrachtung des Konflikts zwischen mittelalterlicher Rittertugend und moderner Staatsraison.
Die „Nibelungen“ sind auch damit der germanische Nationalmythos schlechthin. Schon im 19.Jahrhundert instrumentalisiert in Theater und Oper fürs liberale Bürgertum (Friedrich Hebbel) und als nationalrevolutionär gesättigte Kunstreligion (Richard Wagner), später dann für die Massen popularisiert in dem zeitlosen Kino-Zweiteiler von Fritz Lang (1924) und seinem zeitgeistigen Nachfolger von Harald Reinl (1966/67) sowie einem halben Dutzend weiterer Adaptionen für Actionkino oder Fernsehen sowie neuerdings in den Wormser „Nibelungen-Festspielen“ mit jährlichen Neuinterpretationen des Stoffes.
Ganz auf Hagen gesetzt
In diesem Fall hat sich das mit guten Fernsehstoffen wie „Der Pass“ und originellen Kinofilmen wie „Das Haus der Krokodile“ erfahrene Regie-Duo Cyrill Boss und Philipp Stennert mit der Produktionsfirma Constantin entschlossen, ganz auf Hagen zu setzen – entsprechend dem gleichnamigen Roman von Wolfgang Hohlbein von 1986, der die grobe Vorlage des Films bietet.
Klassisch ist „der grimme Hagen“ der Bösewicht dieser Geschichte, der Verräter und heimtückische Mörder des tadellosen blonden Helden Siegfried. Ein „Dark Knight“ des deutschen Geistes, der die moderne, als listig und verschlagen verachtete Staatskunst repräsentiert gegen einen zwar „tumben“, aber ehrhaften Siegfried, auf dessen Scheitern die „verspätete Nation“ der Deutschen immer gern ihre unpolitische Naivität, fehlende politische Flexibilität, ihren „reaktionären Modernismus“ (US-Historiker Jeffrey Herf) und ganz praktisch ihre Kriegsniederlagen und Untergänge projiziert hat. Der Ideengeschichtler Herfried Münkler hat die einseitige Verwendung des „Nibelungen“-Mythos im Ersten Weltkrieg sowie in den Ostfrontkämpfen des „Dritten Reichs“ detailliert nachgewiesen.
Man kann es auch anders sehen: Vielleicht sind der Pragmatismus und die melancholische Nachdenklichkeit Hagens, auch seine Bereitschaft, sich „die Hände schmutzig zu machen“ und Gewalt als Mittel der Politik zu gebrauchen, heute die viel zeitgemäßere Haltung. Hier wird er nun jedenfalls entsprechend umcodiert: Hagen ist ein treuerVasall, der sich um das Reich und die Zukunft des schwachen neuen Königs Gunter sorgt und schlechte Träume hat. Er nimmt Drogen gegen seine aus früher Kindheit stammenden Wundschmerzen, und erst ein Alberich kann ihn trösten, als er sagt: „Ich kenne deine Narben.“
Siegfried und die moralisch zweifelhaften Söldner
Währenddessen ist der Neuankömmling Siegfried von Xanten hier der Führer einer moralisch höchst zweifelhaften Söldnerschar, die allerdings im Kampf unbesiegbar und daher als Verstärkung für das wankende Burgunderheer willkommen ist. Am Hof eingetroffen, benimmt er sich von Anfang an respektlos und schlecht. Der ehrlose und durch seine Unbesiegbarkeit – das Bad im Drachenblut ist im Film nur ein kurzer Flashback – gelangweilte Zyniker ist auch ein traumatisierter Schlagetod.
So mündet die Handlung schnell in den Kardinalkonflikt zwischen Hagen und Siegfried, flankiert von den zwei „starken Frauen“ Kriemhild und Brunhild. Während letztere heimlich Siegfried liebt, ist erstere hier die heimliche Liebe Hagens, was dieser allerdings ihr nicht und kaum sich selbst eingesteht.
Nach einigen Wendungen und Schlachten kommt es zu einem im Gegensatz zum Mythos ehrhaften Zweikampf der beiden Recken. Am Ende dieses Showdowns ist Siegfried tot, aber Hagen kein Mörder und Verräter. Die Schuld trägt hier eine andere Person – eine spannende, überzeugende Wendung und Uminterpretation der bekannten Geschichte.
Hagen ist etwas hüftsteif und behäbig
Der Niederländer Gijs Naber ist ein überzeugender, solider, wenn auch etwas hüftsteif und behäbig agierender Hagen. Lilja van der Zwaag (Kriemhild) und Rosalinde Mynster (Brunhild) sind gute und doch überraschende Besetzungen, nur Jannis Niewöhner mag zwar für alles Mögliche taugen und so zu einer „Allzweckwaffe“ des deutschen Films geworden sein – ein Siegfried ist er allerdings wirklich nicht. Und auch das Trauma nimmt man ihm nur mit mehr als viel gutem Willen ab. Daneben ist unübersehbar, dass viele Schauspieler synchronisiert wurden, und auch das führt zu einer gewissen Distanz zwischen Betrachter und Leinwandgeschehen.
So ist „Hagen - Im Tal der Nibelungen“ in vielem ansprechend inszeniert und eine legitime, interessante, daher durchaus sehenswerte Interpretation des Stoffes. Filmästhetisch wie erzählerisch fehlen jedoch auch Mut und die letzte Ambition (und vermutlich die finanziellen Möglichkeiten), die unumgänglich gewesen wären, um die im „Nibelungen“-Stoff fraglos liegende Chance für ein deutsches „Game of Thrones“ oder „Der Herr der Ringe“ auch auszureizen. So schwankt der Film zwischen gutem (!) Edeltrash für Genre-Fans und „Terra X“-Anmutung, und es dominiert der Eindruck von verschenktem Potential. Den Nibelungen-Mythos als Vorboten der Moderne sichtbar zu machen, gelingt dem Film jedenfalls nicht.