Vorstellungen
Filmkritik
Die Heide wächst dort, wo die Erde verarmt, der Wald gerodet und der Boden durch andauerndes Abtragen zerstört wurde. Ihr Grund ist sandig, arm und sauer. Er bietet dem Menschen, der ihn durch die Vernichtung erst geschaffen hat, keinen Lebensraum mehr. Und doch blüht die Heide prächtiger als jede Kulturlandschaft. Ludvig von Kahlen (Mads Mikkelsen) will die karge Schönheit bezwingen, die Natur zähmen und das Land urbar machen. Dem Erlass des dänischen Königs folgend, zieht der Offizier 1755 nach Jütland, um als erster die Heide, die synonym ist mit Unfruchtbarkeit, zu bewirtschaften.
Kahlen ist ein ernster Mann, hart und zäh, getrieben von einer nicht standesgemäßen Ambition und einem unbändigen Sinn für Pflicht und Gerechtigkeit. Am Hof und auf den Landsitzen wird die Entschlossenheit des Offiziers nicht ernst genommen. Der Hochadel sieht allein Kahlens alte Perücke und seine löchrige, nur notdürftig geflickte Parade-Uniform. Für seine Mission spielt das aber kaum eine Rolle. Er braucht nur das Siegel des Königs, um die Heide zu bezwingen. Die dazu nötigen Ressourcen, seinen Sold und die Kartoffeln, die er hier pflanzen will, hat Kahlen in den Kriegsjahren in Deutschland erworben.
Chiaroscuro im Kerzenschein
Kahlen bekommt, was er will. Bald treibt er seine Hacke in die taubedeckten Zwergsträucher des Frühlings und den hart gebackenen Staub des Sommers. In Nebel, Sonnenstrahlen, Wetterleuchten und schließlich ins Feuer gehüllt, mit dem die Heide zurückgetrieben wird, breiten die Bilder des Films ihre erhabene Schönheit aus. Mit Chiaroscuro im Kerzenschein und flämisch geprägten Landschaftspanoramen hält der Kameramann Rasmus Videbæk Geschichte und Natur fest. Die Heide Jütlands fügt sich als malerisches wie desolates Setting nahtlos in die lange Reihe der kargen Landschaften ein, die der Western seit seiner Geburtsstunde gesehen hat. Die Geschichte ihrer Kolonisierung ist eine Pioniergeschichte, „King’s Land“ ein Western im Norden.
Die schönsten Szenen gehören der Landschaft. Etwa wenn Kahlen, vom plötzlichen Frosteinbruch im Frühjahr überrascht, auf seinen Kartoffelacker hinauseilt, panisch eine Mulchschicht auszulegen versucht, Decken über die Erde legt und in letzter Verzweiflung schließlich mit der Wärme seines Körpers die Pflanzen zu wärmen versucht. Mads Mikkelsen leiht Kahlen einen spröden Gerechtigkeitssinn, eine widerborstige Erhabenheit, die immer auch eine Pose der Erhabenheit ist, aber nie zu rigoros, um dem dänischen Offizier den Weg fern seiner Ambition zu verbauen.
Denn seinen eigentlichen Kampf führt der Offizier nicht mit der Heide, sondern mit der Nobilität Dänemarks. Er kämpft um ihre Anerkennung und zugleich gegen die grausame Willkür ihrer Herrschaft. Der Gutsherr Frederik De Schinkel (Simon Bennebjerg) ist der Mann, der sie verkörpert. Zwischen Schinkel und Kahlen verläuft die eigentliche Konfliktlinie von „King’s Land“. Der junge, sich in Exzess und Dekadenz suhlende Gutsherr verspottet den als Bastard eines Nobelmanns geborenen Kahlen. Er zollt auch keine Anerkennung für den Titel des Hauptmanns, den sich Kahlen in 25 Jahren Militärdienst erkämpfen musste; ein adlig geborener Mann bekommt den gleichen Rang in nur sechs Monaten Dienst verliehen. Zugleich aber versucht er sich seinen eigenen Anteil am potenziellen Erfolg Kahlens zu sichern.
Die Geschichte einer modernen Familie
Entlang des Kampfes zwischen dem nahezu mittellosen Vertreter der Gerechtigkeit und dem sadistischen Adel entfaltet sich ein Western, aber auch die mit ihm konkurrierende Geschichte einer modernen Familie. Als Romanadaption, die sich stärker in Richtung des Genres lehnt, gewinnt „King’s Land“ genug Freiheit, um dem anachronistischen Familienentwurf auch dort Raum zu geben, wo keine Gerechtigkeit mehr zu erwarten ist. Die von Kahlen als Haushaltshilfe angeheuerte Ann Barbara (Amanda Collin) nimmt zusehend die Rolle der selbstbestimmten Ehefrau ein, das Sinti-Mädchen Anmai Mus (Melina Hagberg) wird zu einer Art Adoptivtochter.
Regisseur Nikolaj Arcel gelingt es, die Patchwork-Familie, aber auch die allzu modern wirkenden Momente von Toleranz und Solidarität mit archaischer Gewalt und historischer Ungerechtigkeit auszubalancieren und Schönheit auch dort gedeihen zu lassen, wo das Land zerstört wurde.