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Filmkritik
Auch wenn der Titel des Films von Marcus O. Rosenmüller den Eindruck einer doppelten Filmbiografie erweckt, so steht die Malerin Gabriele Münter (Vanessa Loibl) doch eindeutig im Zentrum. Mit der gebürtigen Berlinerin beginnt das Biopic, und über weite Strecken wird aus ihrer Sicht erzählt. Es ist denn auch das erklärte Anliegen der Drehbuchautorin Alice Brauner, die lange unterschätzte und weniger bekannte Künstlerin aus dem Schatten ihres berühmten russischen Kollegen Wassily Kandinsky (Vladimir Burlakov) zu holen, der als ein Pionier der Abstrakten Kunst in die Kunstgeschichte einging.
Etwa acht Jahre waren Gabriele Münter und Wassily Kandinsky ein Power-Duo der deutschen Kunstavantgarde. Von 1908 bis 1914 lebten die beiden Liebenden gemeinsam in Murnau am bayerischen Staffelsee, in einem einfachen Haus, das die Malerin für beide kaufte. In jenen Jahren gründeten sie mit Franz Marc (Felix Klare) die Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“, die 1911 den berühmten gleichnamigen Almanach herausbrachte und einen künstlerischen Aufbruch in die Moderne initiierte.
Ein hochdramatischer Einstieg
Der Film erzählt die wechselvolle Lebens- und Liebesgeschichte von Münter und Kandinsky weitgehend chronologisch nach, sieht man vom hochdramatischen Einstieg im Jahr 1942 ab, als ein Mitarbeiter der Reichskunstkammer und zwei Nazi-Schergen das Haus Münters nach „entarteter Kunst“ durchsuchten, aber im Kellerversteck die zusammengerollten Gemälde Kandinskys übersahen. Danach führt eine Rückblende ins Jahr 1900 zurück, als Münter mit ihrer älteren Schwester Emmy mit dem Schiff an New York vorbeifährt.
Ein Jahr später kommt sie nach München, um sich künstlerisch ausbilden zu lassen. Weil Frauen zu dieser Zeit noch nicht an staatlichen Kunstakademien zugelassen sind, muss sie eine teure Privatschule besuchen. An der Schule der Künstlergruppe „Phalanx“ lernt sie den Maler und promovierten Juristen Kandinsky kennen. Obwohl er verheiratet ist, beginnt er ein Liebesverhältnis mit der hübschen Schülerin, die elf Jahre jünger ist als er. Zwischen 1904 und 1908 absolviert das Paar längere Studienreisen durch europäische Länder, ehe es sich in Murnau niederlässt. Dort entwickeln Münter und Kandinsky ihre stilistischen Handschriften und schaffen Meisterwerke des Expressionismus. Doch die gemeinsamen Jahre der beiden eigenwilligen Persönlichkeiten sind auch von vielen Konflikten geprägt, vor allem leidet Münter darunter, dass ihr Verlobter sein Heiratsversprechen nicht einlöst. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs verschärft sich die Liebeskrise.
Großer Wert auf Authentizität
Die geradlinige Inszenierung legt großen Wert auf Authentizität. Alice Brauner, die den Film mit Partnern auch produziert hat, stützte sich bei der Skript-Erstellung auf Briefwechsel, Tagebücher und Schriften des Künstlerduos und von deren Freunden, viele Dialoge beruhen auf Originalzitaten. Als Fachberaterin engagierte sie die Expertin Annegret Hoberg: die Kunsthistorikerin und ehemalige Kuratorin an der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München betreute dort mehr als 30 Jahre die umfangreiche „Blaue Reiter“-Sammlung. Weiteres authentisches Flair steuern originale Gemälde, Hinterglasmalereien und ein Kostümbild bei, das auf Fotos von Gabriele Münter beruht.
Leider tendieren Brauner und Rosenmüller, der mit ihr schon 2011 den Historienfilm „Wunderkinder“ realisiert hat, immer wieder dazu, zu viel zu erklären. Bei einem Aufenthalt in Sèvres bei Paris sagt die genervte Münter zum mürrischen Kandinsky: „Deine Launen sind manchmal schwer zu ertragen.“ Worauf Kandinsky zurückkeift: „Du machst mich krank.“ Dass die beiden in einer ebenso fruchtbaren wie verhängnisvollen Liebesbeziehung stecken, hat man aber schon längst verstanden.
Auch visuell bleibt der Film über weite Strecken zu bieder und hakt akribisch die Lebensstationen ab. Der Kameramann Namche Okon begleitet das Duo oft hinaus in weite Landschaften, doch viel zu selten erhält er Gelegenheit zu mitreißenden Bildkompositionen wie etwa bei einem Arnold-Schönberg-Konzert. Zum wilden Pianospiel darf sich die entfesselte Kamera austoben, wechselt die Parallelmontage immer wieder zu Kandinsky, der zur Musik leuchtende Farben mischt und auf die Leinwand pinselt. Die famose Sequenz spricht für sich, doch in der nächsten Szene erfährt man prompt aus dem Munde Münters, dass Kandinsky ein Synästhet ist, also Farben hören und Klänge sehen kann.
Eine mutige Frau mit Ecken und Kanten
„Münter & Kandinsky“ wird getragen von einem soliden Ensemble, aus dem vor allem Vanessa Loibl herausragt. Sie spielt die ehrgeizige Malerin als mutige Frau mit Ecken und Kanten, als temperamentvolle Rebellin, die gerne provoziert und keine Konfrontation scheut. Im Vergleich dazu bleibt Vladimir Burlakov etwas blass, er spielt den zum Melancholischen neigenden Kandinsky als Chamäleon, das zwischen genialem Neuerer und feigem Heuchler changiert.