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Filmkritik
Hochsommer in Mecklenburg-Vorpommern. Die 24-jährige Christin lebt mit ihrem langjährigen Freund Jan auf dem Milchviehhof seiner Eltern. Unter der flirrenden Hitze scheint die Zeit still zu stehen. Das Leben im Dorf mit fünf Häusern und einer Bushaltestelle ist eintönig. Von der Aufbruchstimmung der Nachwendejahre ist nichts übriggeblieben, die Liebesbeziehung zwischen Christin und Jan im Alltagstrott versackt.
Christin, die keine Berufsausbildung hat, überlässt die Arbeit auf dem Hof ihrem Lebensgefährten; nur die Kälber im Stall betreut sie gelegentlich selbst. Ihren Frust betäubt sie mit Alkopops; eine Flasche liegt stets griffbereit unter dem Autositz. Wann immer es geht, fährt sie in den nächstgrößeren Ort, um mit ihrer besten Freundin abzuhängen. Doch das ist nur ein schwacher Trost. Die junge Frau will weg aus dieser Ödnis, fort in eine große Stadt, wo das Leben pulsiert.
Was tun, wenn man unglücklich ist
Mit ihren knappen Oberteilen, kurzen Röcken und engen Hotpants lehnt sie sich gegen die patriarchale Ordnung auf und versucht die Aufmerksamkeit von Männern auf sich zu ziehen. Sie sollen ihr beim Ausbruch helfen. Etwa der Ingenieur Klaus, der aus Hamburg stammt und Windkraftanlagen wartet. Ohne Zögern lässt sich Christin auf eine Affäre mit dem wesentlich älteren Familienvater ein, der abgesehen vom schnellen Sex kein größeres Interesse an ihr hat. Immerhin pflanzt er Christin die Idee in den Kopf, dass sie selbst etwas ändern muss, wenn sie unglücklich ist.
Die deutsch-iranische Regisseurin Sabrina Sarabi adaptiert für ihren zweiten Spielfilm den gleichnamigen Debütroman von Alina Herbing, die ihre eigenen Jugenderlebnisse in Mecklenburg-Vorpommern verarbeitete. Die Hauptrolle spielt erneut Saskia Rosendahl, die schon in Sarabis Langfilmdebüt „Prélude“ (2019) mitwirkte. Rosendahl interpretiert die Protagonistin mit großer Hingabe keineswegs als Opfer provinzieller Verhältnisse, sondern als widersprüchliche Figur, die zuweilen nicht gerade sympathisch wirkt, wenn sie den Betrieb auf dem Bauernhof sabotiert oder einen Hund vergiftet; dennoch weckt sie auch Mitgefühl, wenn sie sich um ihren verwahrlosten Vater kümmert oder immer mal wieder die Ablehnung von Jans Vater zu spüren bekommt, der sie für zu vulgär und faul hält.
Rick Okon bleibt in der Rolle des Jan dagegen vergleichsweise blass, allein schon deshalb, weil er noch wortkarger als Christin ist. Godehard Giese erhält zu wenig Leinwandzeit, um dem fragwürdigen Charakter des Ingenieurs genügend Tiefe zu verleihen. So trägt Rosendahl den Film fast im Alleingang. Für ihre eindrucksvolle Leistung gewann die Schauspielerin in Locarno im Nebenwettbewerb „Cineasti del presente“ 2021 den Preis als beste Schauspielerin.
Flache Landschaft, weite Felder
Mit dem Außenseiterdrama über eine tragische Figur, die zwischen destruktiver Perspektivlosigkeit und einer ungestillten Sehnsucht nach Freiheit gefangen ist, zeichnet Sarabi ein düsteres Bild der ostdeutschen Provinz, das romantische Vorstellungen vom Landleben konterkariert. Bedrückend ist nicht nur, wie wenig die Menschen in dem dünn besiedelten Landstrich miteinander reden, sondern auch, wie resigniert sie vor sich hin existieren und sich anscheinend mit den Verhältnissen abgefunden haben. Christin trifft hier auf keinen einzigen Menschen, der größere Ziele im Leben verfolgen oder von Alternativen träumen würde; von einem Aufstand gegen den tristen Status quo ganz zu schweigen.
Die Kamera von Max Preiss hält die flache Landschaft und die weiten Felder in langen Einstellungen fest, die die Eintönigkeit im Alltag der Protagonistin spiegeln. Der Blick bleibt dabei oft nahe an den Figuren. Genau beobachtet der Film, welche Spannungen sich im zwischenmenschlichen Gefüge zeigen. Die Inszenierung hält die allgegenwärtige Apathie und gelegentliche Misogynie fest und betreibt auf den Spuren der Dardenne-Brüder sozialrealistische Milieustudien. Doch „Niemand ist bei den Kälbern“ ist allzu spröde und verliert im Mittelteil viel an Schwung; dazu kommen unnötige Redundanzen. Der mehrdeutige Schluss lässt immerhin einen Funken Hoffnung zu.