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Filmkritik
In der deutschen Weihnachtstradition spielen die Rentiere des Weihnachtsmanns keine große Rolle. In den USA sind hingegen sogar ihre Namen bekannt; dafür sorgte 1823 Clement C. Moore mit seinem Gedicht „A Visit from St. Nicholas“: Dasher, Dancer, Prancer, Vixen, Comet, Cupid, Dunder und Blixem. Und natürlich Rudolph mit der roten Nase. Aber der kam erst später hinzu.
Die „Niko“-Animationsfilme des finnischen Regisseurs Kari Juusonen lassen Rudolph links liegen und stellen stattdessen ein anderes junges Rentier in den Mittelpunkt, das davon träumt, wie sein Vater den Schlitten des Weihnachtsmanns zu ziehen. In „Niko - Ein Rentier hebt ab“ (2009) und „Niko 2 - Kleines Rentier, großer Held“ (2012) ging es ums Fliegenlernen und den Umgang mit kleinen Geschwistern. Nun aber ist Niko endlich so weit: Er darf sich um die Aufnahme in der „fliegenden Truppe“ bewerben.
Ein Rentierdame namens Stella
Allerdings gibt es da noch Stella, eine junge Rentierdame, die wie aus dem Nichts auftaucht und ebenfalls den Schlitten ziehen will. Es gibt aber nur einen Platz, so wollen es die althergebrachten Regeln. Deshalb müssen Niko und Stella in drei Rennen gegeneinander antreten. Dem eher kooperativ veranlagten Niko behagt das nicht, und auch Stella scheint nur bedingt kompetitiv zu sein; beide helfen einander. Die beiden ersten Rennen gehen deshalb denkbar knapp aus: unentschieden.
Vor dem entscheidenden letzten Rennen aber macht Stella sich mit dem magischen Schlitten auf und davon. Die erwachsenen Rentiere hetzen ihr nach, und auch Niko fliegt los, weil er sich nicht ganz zu Unrecht an Stellas Verschwinden mitschuldig fühlt. Stets an seiner Seite sind dabei seine treuen Freunde, das vorsichtige Flughörnchen Julius und die optimistisch-kämpferische Wieseldame Wilma.
Im Schlepptau der Väter
„Niko - Reise zu den Polarlichtern“ kommt mit einer eigenartigen Dramaturgie daher, denn von Anfang bis Ende wird nicht recht deutlich, warum Niko unbedingt zu den Weihnachtsmann-Rentieren dazugehören will. Zumal er am Anfang des Films auch erfährt, dass er dann zu Weihnachten nie mehr zuhause sein kann. Vielleicht wurde Nikos Motivation in den ersten beiden Filmen thematisiert, doch die stammen aus den Jahren 2009 und 2012. Nach zwölf Jahren darf man eigentlich erwarten, dass ein Film auf eigenen Beinen stehen beziehungsweise in diesem Fall fliegen kann.
Erst schrittweise wird die Handlung interessanter. Stella hat ihren Schlitten-Diebstahl nämlich nicht aus eigenem Antrieb geplant, sondern ließ sich für die Rache ihres Vaters einspannen, der früher der beste Freund von Nikos Vater Prancer war. Bis es beim Wettbewerb um den einen freien Platz in der „fliegenden Truppe“ zum Zerwürfnis zwischen beiden kam.
Alles schön patriarchal
Kari Juusonen, Hannu Tuomainen und Marteinn Thorisson greifen in ihrem Drehbuch auf eine beliebte Konstruktion zurück: Der Konflikt der Väter wiederholt sich in der nächsten Generation. Nun stehen Niko und Stella gegeneinander. Die Wunden sitzen tief, aber die Männer ziehen lieber andere in ihre Auseinandersetzung mit hinein, als über ihre Gefühle zu reden.
Generell dreht sich alles immerzu um Väter und ihre Söhne, um Verantwortung und Tradition. Bei Sätzen wie „Niko, Sohn des berühmten Prancer“ oder „Schwörst du, dass dir nie etwas wichtiger sein wird als Weihnachten?“ sollten eigentlich alle Alarmglocken schrillen. Doch Niko ist erst einmal nur milde irritiert, zumal ihm sein Vater als verwirrende Maßgabe mitgibt: „Es gibt nur eine Regel: Fokussiere dich auf dich selbst!“
Wen der militaristische Beiklang an der „fliegenden Truppe“ als Ausdruck für ein paar weihnachtlich engagierte Rentiere schon immer gestört hat, wird sich vielleicht auch über solche patriarchalen Handlungsmuster wundern. „Niko - Reise zu den Polarlichtern“ stellt diese auch unreflektiert in den Vordergrund: Nikos Mama bleibt mit den kleinen Geschwistern zuhause, alle Rentiere, die beim Weihnachtsmann was zu sagen haben, sprechen mit tiefer Stimme („Männer!“), und beim Durchflug durch die Polarlichter – ein Teil der zweiten Prüfung – macht man besser die Augen zu, sonst verliert man die Orientierung.
Niko aber verschließt die Augen nicht, wenngleich er sich zunächst doch verirrt. Denn mitten in den Polarlichtern begegnet er seinen eigenen Zweifeln und den Vorwürfen seines Vaters. Darin steckt dann aber auch der Kern der Heilung, mit der Niko seine wiederholte Empörung – „Ich bin doch kein Kind mehr!“ – in die Realität umsetzen kann: durch die Abgrenzung vom Vater, dem er am Ende ins Gesicht sagen kann und muss: „Du bist gar kein Held.“
Lichter & Schatten
Einen feministischen Bruch mit dem Patriarchat wird man hier aber nicht finden. Der Konflikt wird allein auf der persönlichen Ebene der Väter und ihrer Kinder gelöst; am Ende stehen alle vor dem Weihnachtsmann stramm; die alten Regeln werden angepasst.
Zurück bleibt ein wohlmeinendes Patriarchat, in dem die selbstbewusste Stella als neue Freundin sowohl Ausnahmeerscheinung wie zweite Geige sein kann. Das alles eingepackt in einen hübsch animierten Film mit wilden Verfolgungsjagden durch Eiskanäle voller Licht und Schattenwürfe, reichlich amüsanter Nebenfiguren inklusive einer Schar Lemminge, die Julius als ihren „magischen Meister“ verehren, was starke C3PO-und-Ewoks-Vibes à la „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ bedingt, sowie musikalisch hochgejazzter Momente.
Etwas mehr Konsequenz und etwas mehr Revolution hätte dem Film sicher gutgetan. Doch an Weihnachten will man die alten Regeln wohl nur sanft anpassen, aus Sorge, dass die Familie noch gemeinsam feiern kann. Man ist ja schon für kleine Schritte dankbar.