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Filmkritik
Ellen (Lily-Rose Depp) erwacht aus einem Albtraum. Noch sichtbar heimgesucht von den Untiefen der Nacht, in denen eine der berühmtesten Figuren der Literatur- und Filmgeschichte unter falschem Namen ihr Unwesen treibt, sucht sie die Nähe des Mannes, den sie erst vor wenigen Tagen geheiratet hat. Thomas (Nicholas Hoult) aber hat keine Zeit für körperliche Nähe und keine Zeit für Vampirgeschichten. Es winkt ein Job im Maklerbüro, eine Reise ins ferne Transsilvanien. Danach, so verspricht der junge Ehemann, sei Zeit für eheliche Zweisamkeit, für Kinder und ein unbeschwertes Leben dank des finanziell abgesicherten Familienglücks. Ellens Unterbewusstsein aber weiß es besser: Nicht den Reichtum und damit die Basis eines unbeschwerten Familienlebens, sondern allein das Verderben wird Thomas Hutter von seiner Dienstreise nach Transsilvanien mit nach Hause bringen.
Auf filmgeschichtlich vertrauten Pfaden
Ein phänomenaler erster Akt bestätigt Ellens Visionen und die Vertrautheit des Regisseurs Robert Eggers mit den mehr als 100 Jahren Literatur- und Filmgeschichte im Zeichen von Dracula. Thomas Hutter reist ins Land des Grafen Orlok, begleitet vom Bösen, das sich in der malerischen Landschaft wie ein kalter Hauch manifestiert, der nicht vorbeiziehen will. Die Kamera von Jarin Blaschke malt Gemälde des Schreckens in die Dunkelheit. Die im Unterschied zu denen, die Jörg Schmidt-Reitwein für Werner Herzogs „Nosferatu - Phantom der Nacht“ schuf, nicht Mensch und Natur vis-à-vis stellt, sondern die zusieht, wie der Schatten sukzessive das Licht und der Graf den jungen Gast verschlingt.
Eggers ist mit seinen Vorgängern bestens vertraut. Er ist nahe dran an F.W. Murnau, an Carl Theodor Dreyer, an Werner Herzog und auch an Francis Ford Coppola. Sein „Nosferatu“ zitiert, nicht ganz frei von Einflussangst, ganze Sequenzen und arbeitet akribisch auf die ikonischen Momente der Vampirgeschichte hin: den vom Sturm heimgesuchten Dünenfriedhof; die Ratten, die Wismar, das hier Wisborg heißt, überschwemmen; der Schatten des Grafen, der die Treppen hinaufschleicht. Und zugleich drückt Eggers seiner Stoker-Adaption einen eigenen Stempel auf. Wie in allen seiner Filme hängt der New Yorker Regisseur an der Historie. Opulent ist diese Welt ausstaffiert, bis ins Kleinste sorgfältig eingerichtet und ausgeleuchtet, um der perfekte viktorianische Gruselspielplatz eines nicht-viktorianischen Deutschlands zu sein.
Das unterdrückte Begehren anderer
Die Geschichte des Vampirs steht auch im Jahr 2024 auf einem vielschichtigen metaphorischen Gerüst: eine blutsaugende Aristokratie und eine Gesellschaft, die sich in der Panik vor dem Fremden an ihren „Aufklärung“ genannten Tribalismus klammert. Das Gewicht aber ruht aber hier weniger auf dem Monster. Dracula ist weniger dämonischen Präsenz à la Max Schreck, kein tragisch begehrender Einzelgänger à la Klaus Kinski oder gar barocker, monströser Camp-Dandy à la Gary Oldman. „I am an appetite. Nothing more“, flüstert der von Bill Skarsgård verkörperte Orlok hier einmal. Der Vampir ist nicht vom eigenen Verlangen getrieben; er wird vielmehr von der existentiellen Verzweiflung, vom unterdrückten Verlangen einer anderen ins Leben gerufen. Ellen ist diese andere. Ihr gehört die Verzweiflung.
Mit der Abreise des Ehemanns, der eigenen Einsamkeit inmitten der Wisborger Gesellschaft, kehrt der Orlok zugeschriebene Wahnsinn in ihr Leben zurück. Der vom Doktor (Ralph Ineson) verschriebene Aderlass soll sie heilen. Das Verlangen soll ihr genommen, ihre Sexualität mit dem Blut entlassen werden. Doch die Methoden des Doktors, der vom Quasi-Vormund Friedrich (Aaron Taylor-Johnson) gerufen wird, einem Freund Hutters, entfesseln nur neue Albträume, neue pathologische Auswüchse des dämonischen Banns des Grafen. Es braucht den verschrobenen Professor Von Franz (Willem Dafoe), um diesem und anderen Irrwegen der hysterisch-wahnhaften Bevölkerung von Wisborg ein Ende zu setzen und eine kleine Koalition gegen den Vampir zu mobilisieren.
Allzu sehr auf Abstand bedacht
Für einen Film, der um Wahn, Blutdurst und Begehren kreist, kommt Eggers’ „Nosferatu“ aber allzu gehemmt daher. Nur Willem Dafoe dringt in Richtung eines entfesselten Wahns vor. Abseits seiner exaltierten Performance aber ist der moderne „Nosferatu“ kein Film des Blutdursts, sondern ein Film der Anämie. Wie sediert schwebt der Grusel dahin, ohne sich je dem Animalischen hinzugeben, das in den unzähligen Dialogen durch Eggers’ Version des 19. Jahrhunderts raunt. Eggers liebt das Erhabene. Er kann sich nicht sattsehen an den Schatten, die sich über den fein säuberlich polierten historischen Spielplatz legen, seiner Vision des Deutschlands von 1838, das damals eigentlich noch nicht Deutschland war.
„Nosferatu“ nimmt die historischen Fäden elegant auf, um von unterdrückter Sexualität, einer irrationalen Aufklärung und ihrer Hysterie zu erzählen. Die ehrwürdige Distanz, die der Film dazu einnimmt, trifft den thematischen Kern, hält zugleich aber auch den Schrecken und die Sinnlichkeit auf Abstand. Der Begierde und dem Horror fehlen, selbst dort wo sie zusammenkommen, das Fleisch.