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Filmkritik
Zumindest Bocuse ist begeistert. Als Cécile Béguin (Juliette Armanet) die kleine Gaststätte an der Autobahn betritt, die sie jahrelang gemieden hat, eilt ihr der Familienhund entgegen und lässt sich umarmen und herzen. Dass an diesem Ort das Haustier nach dem weltberühmten Sternekoch Paul Bocuse benannt ist, können Außenstehende als Zeichen verstehen. Denn so wie der Hund hat offensichtlich auch der Geist des „Nouvelle Cuisine“-Pioniers in der Küche von Gérard Béguin (François Rollin) nichts zu suchen. Mit Neuerungen braucht man dem Betreiber der Gaststätte für LKW-Fahrer nicht zu kommen; Gérard ist entschlossen, weiterhin die einfachen, herzhaften Gerichte wie bisher zu kochen. Allenfalls tischt er einem Stammkunden eine andere Beilage als bestellt auf; schließlich weiß er als Koch ja am besten, was zu jedem Esser passt.
Stur gibt er sich auch, wenn es um seine Gesundheit geht. Nachdem er den dritten Herzinfarkt erlitten hat, entlässt er sich schon am nächsten Tag aus dem Krankenhaus und kehrt an den Herd zurück; sein Zugeständnis an die Situation besteht lediglich darin, fortan im Sitzen oder mit einem Stock in der einen Hand zu kochen. Cécile bereut sofort, dass sie den Eltern ihre Hilfe angeboten hat.
Der Stand der Dinge
Die französische Regisseurin Amélie Bonnin führt ihre Hauptfigur zu Beginn von „Nur für einen Tag“ an einen Schauplatz zurück, den diese vermeintlich erfolgreich hinter sich gelassen hat. Vor mehr als zwanzig Jahren ergriff Cécile die Flucht von der Gaststätte „L’Escale“ (der Zwischenstopp). In Paris hat sie seither die schwierige Beziehung zu ihrem Vater auf ihre Art verarbeitet. Auch sie ist eine Köchin geworden, allerdings in der Haute Cuisine und getrieben vom Wunsch nach Originalität. Durch die Fernsehsendung „Top Chef“ hat sie sich einen Namen gemacht. Als ihr Vater den neuerlichen Infarkt erleidet, trennen sie gerade noch zwei Wochen von der Eröffnung ihres eigenen Restaurants. Dass sie zeitgleich eine weitere unerwünschte Neuigkeit bekommen hat, erhöht ihren Stresslevel beträchtlich.
An den Besuch der alten Heimat knüpft Cécile deshalb vor allem die Hoffnung, sich über den Stand der Dinge in ihrem Leben klar zu werden. Sie hat allerdings die Reaktionen derer unterschätzt, die sie in der Provinz zurückgelassen hat – zuallererst die ihres Vaters, für den ihre Karriere ein Affront ist. Was sie in „Top Chef“ abwertend über ihre eigenen Wurzeln geäußert hat, hält er ihr nun empört vor, sei es aus dem Gedächtnis oder mittels eines Notizbuchs, in dem er die Zitate akribisch notiert hat.
Amélie Bonnin legt ihren ersten Spielfilm allerdings nicht als dramatischen Film über den Konflikt zwischen Paris und der abgehängten Provinz an. „Nur für einen Tag“ möchte keineswegs Lebenswege gegeneinander ausspielen. Céciles Entscheidung für eine Abkehr von der Welt ihrer Eltern erscheint ebenso nachvollziehbar wie deren Beschränkung auf robuste Küche und Laufkundschaft. Wenn Céciles Mutter Fanfan (Dominique Blanc) ihren starrsinnigen Mann oft als unerträglich beschreibt, den Gedanken an eine Trennung aber mit einem von Herzen kommenden „Wir lieben uns doch!“ von sich weist, zeigt das sehr eindrücklich, was da über Jahrzehnte zusammengewachsen ist.
Wenn Worte an Grenzen stoßen
Über diese thematische Steuerung hinaus beschwört die Regisseurin aber insbesondere durch die Genre-Zuordnung eine leichtere Stimmung. Denn „Nur für einen Tag“ ist als Musical angelegt, in dem die Handlung immer wieder dadurch vorangetrieben wird, dass Figuren zu singen beginnen, oft unterstützt von Choreografien. Auslöser sind zumeist Momente, in denen gesprochene Worte an ihre Grenzen stoßen, etwa wenn Gérard trotzig sein Berufsethos mit „Mourir sur scène“ von Dalida unterstreicht – die Küche als Bühne, von der er nicht lebend abzutreten gedenkt.
Oft kann man in den Songs auch nostalgische Gefühle der Charaktere vermuten, zumal wenn man in der französischen Populärkultur ein wenig bewandert ist. Das dem Film seinen Titel gebende „Partir un jour“ der Boyband 2BE3, aber auch die Songs von Céline Dion und K-Maro – alle entstanden zwischen Mitte der 1990er- und Anfang der 2000er-Jahre – legt die 1985 geborene Regisseurin Céline den Figuren nicht nur wegen der Inhalte in den Mund, sondern auch, weil diesen als Jugenderinnerungen ein spezieller Status zukommt.
Da die Lieder von den Schauspielern selbst gesungen werden, gehört die unterschiedliche Qualität ihres Gesangs zu ihrer Interpretation. Auch die Tanzbewegungen sind sichtlich nicht auf Perfektion getrimmt, sondern tragen zur bodenständigen Ausstrahlung des Films bei. Nicht alles, was man anstrebt, lässt sich erreichen – das gilt sowohl für die Lebensträume der Figuren als auch für einzelne Töne.
Im Unterschied zu manchen anderen französischen Musical-Experimente der vergangenen Jahre wie etwa „Tralala“ von Arnaud und Jean-Marie Larrieu oder „Der große Zauber“ von Noémie Lvovsky zielt Amélie Bonnin aber auf keinen Illusionsbruch, sondern nimmt das Genre ernst. Zwar wirken manche Liedeinlagen nur fadenscheinig motiviert, doch immer wieder gelingen „Nur für einen Tag“ charmante Sequenzen, vor allem dann, wenn die Emotionen der Musik ungemildert wiedergegeben werden.
Mit sanfter, warmer Melancholie
Neben der Beziehung von Cécile und Gérard umfasst das auch die Wiederbegegnung mit ihrem einstigen Freund Raphaël (Bastien Bouillon). Dieser wird zur Spiegelfigur von Cécile und neben der ungeklärten Situation mit ihren Eltern zum Hauptgrund für ihr Verweilen; der mit blondiertem Haar und lässigem Auftreten noch immer jungenhafte Mechaniker sucht offensiv ihre Nähe – Frau und Kind sind für ihn dabei ebenso wenig ein Hindernisgrund wie Céciles Partner, der ihr schließlich aus Paris nachreist.
Weltbewegend ist es das alles nicht, doch seine Bescheidenheit macht „Nur für einen Tag“ sehr sympathisch. Auch wenn es sich der Film in der Auflösung mancher Konflikte manchmal etwas einfach macht, besitzt er doch eine Warmherzigkeit und sanfte Melancholie, die den Bildern der Provinz ihre Tristesse rauben. So wie Lieder in der Lage sind, das Dunkle hell und das Bedrängende leichter werden zu lassen, ohne dass sich immer genau sagen ließe, wie sie dieses Kunststück fertigbringen.
