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Filmkritik
Die „Record“-Tasten eines Tonbandgeräts werden gedrückt – die Bänder rollen. Für ein Buchprojekt mit Interviews von Künstler benutzt die Autorin Linda Rosenkrantz eine heute altmodisch anmutende analoge Maschine. An diesem Dezembertag des Jahres 1974 ist einer ihrer persönlichen Freunde an der Reihe: der Fotograf Peter Hujar. In Jeans, kariertem Hemd und Pulli sitzt er auf dem Sofa ihres Apartments in Manhattan – manchmal fläzt er sich auch in liegender Position darauf – und redet. Rosenkrantz hat ihn gebeten, einen Tag aus seinem Leben zu schildern, mit so vielen Details wie möglich. Hujar entscheidet sich für den Vortag, beschreibt zunächst die berufliche Begegnung mit einer Französin, lässt sich über ihren Akzent aus. Er weiß noch nicht, wie viel Geld er für das Fotoshooting bekommen wird; offenbar nehmen einige in der Branche solche Details eher locker. Auch ein Honorar des renommierten Magazins Village Voice steht noch aus.
Mit und für die kulturellen Szene
Der Fotograf Peter Hujar (1934-1987) war in den 1970er- und 1980er-Jahren ein angesehener Akteur der New Yorker Kunstszene. Er unterhielt Freundschaften mit Richard Avedon und Nan Goldin und fotografierte Berühmtheiten wie Andy Warhol, John Waters, William S. Burroughs oder Diana Vreeland. Obwohl er in der Szene sehr geschätzt wurde, kam er finanziell kaum über die Runden und war auf die Unterstützung von Freunden angewiesen. Insofern spielen in dem Kammerspiel von Ira Sachs Honorare immer wieder eine Rolle.
Es gibt nur zwei Schauspieler: Rebecca Hall als Rosenkrantz und Ben Whishaw als Hujar. Gemeinsam werden innerhalb der Wohnung, die hoch über New York City liegt, durch Raum und Zeit führen. Während die Konversation auf dem Sofa beginnt, verlagert sie sich bald in andere Ecken – zunächst an den Esstisch, wo sich die beiden mit Kaffee und Käse stärken. Das Apartment ist geräumig. Es hat zwei Ebenen und ist im Stil der 1970er-Jahre eingerichtet. Die Protagonisten bewegen sich quasi dreidimensional durch den Raum. Einmal klimpert Hujar auf Rosenkrantz’ Klavier, dann legt er eine Platte auf. Zwischendurch gehen sie auf den Balkon mit Blick auf den Fluss. Die ganze Zeit über schildert Hujar die Erlebnisse, Gedanken und Eindrücke des Vortages; er berichtet über seine Schlafgewohnheiten und erzählt von seiner Arbeit in der Dunkelkammer. Einen Teil des Tages verbrachte er in seiner Wohnung, den anderen Teil war er auswärts für seine Arbeit unterwegs.
Dem Klatsch nicht ganz abgeneigt
Einen Großteil der Erzählung nimmt Hujars Begegnung mit dem Beat-Poeten Allen Ginsberg ein, den Hujar vor dem Treffen persönlich nicht gekannt hat. Die Bewunderung, die er für den Dichter hegte, weicht einer gewissen Ernüchterung, als er dessen unaufgeräumte Wohnung in einer – wie er findet – schäbigen Wohngegend erblickt. In Ginsbergs Apartment hätten ein Bob-Dylan-Poster, ein Stones-Poster und Gitarren gehangen, berichtet Hujar detailreich. Ben Whishaw spielt die Titelfigur als nonchalant wirkenden Menschen, eine Mischung aus beobachtendem und staunendem Künstler, der dem Klatsch nicht ganz abgeneigt ist. Gleichzeitig geht er in seinen beruflichen Terminen äußerst professionell vor, überlegt, wie und wo er die Porträtierten am besten aufnimmt, macht ihnen Vorschläge, lässt sie aber mitentscheiden. Er ist mit den Bildern meist nicht ganz zufrieden, aber für die „New York Times“ seien sie ausreichend. Ginsberg sie ein hässlicher Mann, darin sind sich Hujar und Rosenkrantz einig.
Die Freundin ist eher Stichwort- und Gastgeberin. In ihrem knallroten Kleid strahlt sie Glamour, aber auch Souveränität aus, was Rebecca Hall trotz einem deutlich geringeren Redeanteile glaubhaft vermittelt. Hujar gebührt die Aufmerksamkeit. Er spricht, während sie ihn zuweilen etwas lenkt, ihm zustimmt oder ein wenig mit ihm tratscht. Die Komplizenschaft zwischen beiden ist groß. Irgendwann liegen beide auf dem Kuschelfell ihres Bettes. Der schwule Mann und die Hetero-Frau vertrauen sich. Er fühlt sich wohl, erfüllt gewissenhaft seine Erzähler-Aufgabe und offenbart durch die Schilderung seines Tages auch einiges über das New York der 1970er-Jahre.
Einmal, erzählt er, sei er in der vergangenen Nacht von den Prostituierten in seiner Straße geweckt worden. Auch über Beziehungen von Bekannten wird geredet, und ob dieser oder jener noch mit demselben Freund zusammen sei. Bekannte Persönlichkeiten der Kunst- und Intellektuellen-Szene wie Susan Sontag oder Ginsberg kann man dabei auch heute noch identifizieren. Andere Namen lassen sich weniger einordnen. Doch Hujars Schilderungen vermitteln durchaus ein Gefühl für die damaligen Verhaltensweisen und die Epoche.
Belegt durch die historischen Aufnahmen
Für das Publikum geht es um zweierlei: Es betrachtet die beiden Figuren auf der Leinwand und erkundet mit ihnen die Wohnung. Gleichzeitig müssen sich bei den Schilderungen von Hujars Tag andere Schauplätze vorgestellt und in den vorherigen Tag hineinversetzt werden. Dem Film haftet dadurch etwas Theaterhaftes an, auch wenn Ira Sachs die filmischen Techniken durch Kamerabewegungen, eine zeitraffende Erzählweise und behutsame Schnitte gut ausschöpft. Nicht zuletzt ist die Erzählweise von Hujar eine subjektive. Es sind seine Beobachtungen und seine Perspektive; er kann die Akzente setzen und sich dabei gleichzeitig selbst inszenieren. Dass er das Gespräch offenbar trotzdem eher uneitel, sehr ehrlich und auch unterhaltsam absolviert, ist durch die bis heute erhaltenen Spulen des alten Tonbandgeräts beglaubigt.
