









- Veröffentlichung07.08.2025
- RegieJuliane Sauter
- ProduktionDeutschland (2025)
- Dauer99 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
- AltersfreigabeFSK 6
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Renata Scotto befindet sich schon lange im Ruhestand, als ihr in ihrer Geburtsstadt Savona ein letztes Mal große Ehrungen zuteilwerden: Ein Platz wird nach ihr benannt, Nachwuchs-Sängerinnen, für deren Förderung sich die 89-Jährige einsetzt, singen für sie ein Konzert, auf den Straßen und in Cafés begegnet die Italienerin Bekannten, Freunden und Fans.
Näher vorgestellt aber wird die Grande Dame in der Dokumentation „Primadonna or Nothing“ nicht. Daran, dass sie eine goldene Ära einer lang zurückliegenden Vergangenheit prägte, nachdem sie 1957 als Einspringerin von Maria Callas in Edinburgh als Bellinis „Sonnambula“ ihren internationalen Durchbruch hatte und später nach Amerika ging, als die Mailänder Scala ihr die Rivalin Mirella Freni vorzog, werden sich wohl nur Connaisseure erinnern. Die können auch einordnen, in welchen Rollen Scotto in kurzen historischen Videoausschnitten im Film zu sehen ist.
Scotto ist eine von drei Protagonistinnen, die Juliane Sauter vor der Kamera versammelt. Sie begleitet die Sängerinnen an unterschiedliche, weit entfernte Orte in Europa, Kanada und den USA, zu Proben und Aufführungen, zeigt sie überwiegend aber in unspektakulären Alltagssituationen – bei der Ankunft im Taxi, beim Telefonat mit Freunden und Angehörigen, in der Künstlergarderobe, im Hotelzimmer, auf Fluren in Opernhäusern oder bei der Aufzeichnung eines Interviews. Neben Scotto sind dies: Valerie Eickhoff, mittlerweile mit 29 fest im Ensemble der Dresdner Semperoper, eine erfolgreiche Nachwuchssängerin, sowie Angel Blue, eine Künstlerin, die mit 41 im Zenit ihrer Weltkarriere steht.
Scottos Generation hat sich selten beklagt
Die Analogien und Beziehungsfäden zwischen ihnen und Scotto erscheinen allerdings recht dünn. Schon deshalb, weil es einen Star von einer vergleichsweise epochalen Bedeutung wie Scotto heute nicht mehr gibt. Und weil ihre Generation selten beklagt hat, dass der Beruf einer Opernsängerin mit Entbehrungen einhergeht. Im Gegenteil, viele Größen von einst schöpften sogar in schwierigen Nachkriegsjahren ihre Lebenskraft aus ihrem Beruf, wiewohl sie mitunter Hunger und Kälte in den Opernhäusern auszustehen hatten. Sie würdigten es dankbar als ein Privileg, singen zu dürfen, eine Martha Mödl zum Beispiel oder eine Sena Surinac.
Wenn sich dagegen die US-Amerikanerin Angel Blue an ihre Anfänge erinnert, wie hart sie, ermutigt von ihrem geliebten Vater, den sie nach seinem Tod so vermisst, 15 Jahre lang arbeiten musste, um nach ganz oben zu gelangen, schwingt unterschwellig Kritik an der Gnadenlosigkeit des Opernbetriebs mit. Der ist zweifellos auch gnadenlos und war es immer. Nur hat sich offenbar die Empfindlichkeit darüber geändert. Und doch erscheint Blue durchaus souverän, wenn sie über kleine Uncharmantheiten, die ihr im Alltag begegnen, augenzwinkernd hinweglächelt.
Auch bei Eickhoff, die sich in einen Wettbewerb in Montréal stürzt, wo sie sich zielstrebig ins Finale vorarbeitet, dreht sich alles um die angestrebte große Laufbahn, um persönlichen Ehrgeiz, Anerkennung, Ruhm und gewiss auch Geld. Das ist bis zu einem gewissen Grad legitim, nur fragt man sich, was die Musik selbst für sie eigentlich bedeutet. Dient ihr Perfektionsanspruch nur dem eigenen Renommee?
Sängerinnen und Sänger in Scottos Generation dachten nicht unweigerlich an erster Stelle an ihr Ego, sondern stellten ihre Genialität in den Dienst der Musik, feilten nicht Stunde um Stunde an kleinsten Nuancen, um zu glänzen, sondern um den Ansprüchen der Komponisten gerecht zu werden. Davon erzählt Sauters Film nicht. Nur einmal unterstreicht immerhin Scotto die Schönheit der Musik, der sie sich verpflichtete.
Musik überwiegend nur in kurzen Schnipseln
Im Film erhält die Musik überwiegend nur in kurzen Schnipseln Raum. In einigen Einstellungen werden nicht einmal die Stimmen der Sängerinnen hörbar, da sieht man nur ihre Körper beim Singen zu einer gänzlich anderen Tonspur aus dem Off.
Dass die Filmemacherin die Alltagsszenen für sich selbst sprechen lässt, zahlt sich in diesem Fall nicht aus. Denn inmitten all der Smalltalks, Autogrammstunden, flüchtigen Momente im Rampenlicht, Autofahrten und Begegnungen gelangt die Produktion über die dünne Bestandsaufnahme, dass künstlerischer Erfolg nicht ohne Höchstleistungen, hohe Belastungen und so manche Durststrecken zu haben ist, nicht hinaus. Die Doku verschenkt so ihr Potenzial, bedenkt man nur, welche spannenden Fragen hätten aufgeworfen werden können, sei es zu moderner Opernregie, Erfahrungen mit Dirigenten oder auch zum Thema Stress, Misserfolge und Verschleiß.
„Primadonna or Nothing“ zeigt in erster Linie also das belanglose Drumherum des Sängerberufs und verliert darüber das Wesentliche aus den Augen, woran sich künstlerische Meisterschaft bemisst und warum Singen eine so harte Arbeit erfordert.
Sie singt innerlich mit
Die schönste und einzig wirklich berührende Sequenz spart sich der Film ganz bis zum Schluss auf. Da lauscht Renata Scotto einer älteren Aufnahme von sich mit einer Arie aus Puccinis „Le Villi“ und singt, sichtlich zufrieden, innerlich mit. „Non ti scordar di me“ lautet der Text dieser Arie, „Vergiss mich nicht“. Schön, dass dieser Moment noch festgehalten werden konnte, während der Dreharbeiten ist die legendäre Sopranistin gestorben. Der Film ist ihr gewidmet.
