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Filmkritik
Die Rekruten stehen aufgereiht einander gegenüber. Ein hochrangiger Offizier tritt mit einem Maßband an jeden einzelnen heran, um den korrekten Sitz der Uniform zu überprüfen. Es ist eine der Maßnahmen, aus denen der Film seinen Titel ableitet: eine Inspektion, eine strenge Überprüfung. Eine eigentlich banale Szene, gerade wenn man den Kontext betrachtet. Die Ausbildung bei den US-Marines ist hart und es mag nun wenig überraschend sein, dass beim Militär strenge Regeln gelten, Zucht und Gehorsam eingefordert werden. Dennoch schnürt es einem die Luft ab: Es geht einzig und allein um das Äußere, um einen normierenden Blick auf die Individuen, deren Gefühlswelten bei dieser Vermessung überhaupt nicht von Belang sind.
Paradoxerweise hat sich Ellis (Jeremy Pope) diese Ausbildung wohl genau aus diesem Grund ausgesucht: Er will die institutionelle Bestätigung, dass auch er einen Platz in dieser Gesellschaft hat – sich einen offiziell bestätigten Körperpanzer zulegen, um im großen Ganzen der Armee aufzugehen. Der Traum der Individualität ist ausgeträumt.
Der Tod, der dem Leben Sinn gibt
Dazu kommt, dass wir das Jahr 2005 schreiben. Gut funktionierende Tötungsmaschinen werden gebraucht. Der „War against Terror“ der Bush-Administration und vor allem der Krieg im Irak verschleißen die Soldaten an der Front. Der Tod ist eingepreist. Ellis ist sich dessen bewusst: Der Tod beim Dienst an der Waffe würde seinem Leben letztlich einen Sinn geben. Ein tröstender Zynismus, den man nur verstehen kann, wenn man ganz unten angekommen ist.
Denn bis zu seiner Entscheidung, zu den Marines zu gehen, sich freiwillig dieser Ausbildung auszusetzen, vegetierte Ellis eigentlich nur vor sich hin. Damit beginnt „The Inspection“ auch. Das bloße Überleben auf dem sozialen Kampffeld wird in prägnant-einfühlsamen Bildern verdichtet. Von seiner religiösen Mutter (Gabrielle Union), die in einem Gefängnis arbeitet und stolz auf ihren eigenen, selbstbewusst gegangenen Weg ist, wurde Ellis als 16-Jähriger verstoßen. Seitdem lebt der schwule Afroamerikaner auf der Straße. Weil er für die Aufnahme zum Boot Camp die Geburtsurkunde benötigt, muss er an der Tür seiner Mutter klopfen, aus deren Blick auch nach fast zehn Jahren noch immer Verachtung spricht. Nur zögerlich rückt sie das Dokument heraus, schließlich erinnere es sie an eine Zeit, in der Ellis noch eine Art Versprechen war. Bis sich eben herausstellte, dass er Männer liebt.
Völlig eigene Regeln
Aus der Gesellschaft, in der er als Fremdkörper abgelehnt wird, Rassismus und Homophobie erfahren muss, flieht er in eine Gemeinschaft, die nach völlig eigenen Regeln funktioniert. Kaum aus dem Bus ausgestiegen, werden die Rekruten von ihren Ausbildern angebrüllt. Ob sie Drogen nähmen, sich eines Verbrechens schuldig gemacht hätten und ob sie schwul seien – Fragen, ins Gesicht geschleudert, wie von einem Maschinengewehr. Bereits früh im Film wird die sogenannte „Don’t Ask, Don’t Tell“-Politik, die noch aus der Ära Clinton stammte, in Luft aufgelöst. Kein – wenn auch hochproblematischer – Mantel des Schweigens wird über homosexuelles Begehren gelegt: Ständig ist Ellis von einer aufdringlich bekundeten heterosexuellen Virilität umgeben. Homophobie ist auch hier omnipräsent.
Eine gewisse Zeit gelingt Ellis das Versteckspiel. Die Gangart des schwarzen Commanders Laws fordert alle heraus. Das Ziel der Ausbildung ist es, die Rekruten zu brechen, sie abzuhärten und zu Marines umzuformen. Demütigungen sind an der Tagesordnung. Einzig Drill Sergeant Rosales (Raúl Castillo) wagt es, dieser Entmenschlichung etwas entgegenzusetzen, die schließlich dann außer Kontrolle gerät, als Ellis unter der Dusche eine Erektion bekommt. Sich im warmen Wasserstrahl, zwischen all den Männerkörpern, einen Moment zu lang in einem erotischen Tagtraum verlierend, findet sich der sensible Mann schnell auf dem Fliesenboden wieder, von Schlägen traktiert. Ein Spießrutenlauf beginnt. Denn seine Kameraden versuchen Ellis das Leben fortan zur Hölle zu machen.
Keine erwartbare Opfergeschichte
Regisseur Elegance Bratton, der in seinem ersten Spielfilm seine eigene Biografie aufarbeitet, lässt seinen Film an dieser Stelle jedoch nicht in vorhersehbare Fahrwasser abgleiten. Weder wird die Armee als das Böse aufgebaut, noch wird Ellis in eine erwartbare Opfergeschichte geschickt. „The Inspection“ bleibt eine Herausforderung, die in elliptischen Sprüngen der militärischen Ausbildung unerwartet neue Bilder abringt.
In der Verbindung mit der aufgebrochen-avantgardistischen Musik von Animal Collective ergibt sich eine verführerische Poesie der Körper, die ständig das Verhältnis von Außen und Innen neu anordnet. In diesen Momenten der körperlichen Ertüchtigung, die immer wieder von Naturbildern unterschnitten werden, fühlt man sich in Momenten verleitet, den militärischen Drill als eine Ordnung der Dinge anzuerkennen, in der die Seele überhaupt erst einen Halt erhält. Nur, um im nächsten Moment vom unsäglichen Schmerz der Selbstverleugnung erfasst zu werden: Das sexuelle Begehren, es ist nicht einfach abzuschalten.
Welche Spielräume gibt es?
Ellis war sich darüber bewusst, auf was er sich einlässt. Der Eintritt in diese brutale Welt ist selbstgewählt. Was den Albtraum nicht erträglicher und die Demütigungen nicht weniger schlimm macht. Und doch lässt er sich, obwohl er regelmäßig an seine Grenzen gebracht wird, nicht kleinkriegen. Als wäre es eine Selbstinspektion, die in ihrer unerbittlichen Widersprüchlichkeit die Frage nach dem Dazwischen stellt: Was befindet sich zwischen der Gesellschaft und der militärischen Gemeinschaft überhaupt für ein Raum? Oder anders: Welche Spielräume gibt es für Menschen wie Ellis?
Es bleibt die Hoffnung, dass sich dort, in einer Lücke des Selbst vielleicht ein klein wenig Trost finden lässt. „The Inspection“ jedenfalls bleibt als Widerstand im Kopf zurück. Und das ist eine enorme Bereicherung.