Cast
Vorstellungen
Filmkritik
Die Schriftstellerin Ingrid (Julianne Moore) wollte mit ihrem letzten Buch die eigene Angst vor dem Tod bekämpfen. Als sie bei der Signierstunde erfährt, dass ihre frühere Freundin Martha (Tilda Swinton) an Krebs erkrankt ist, wird jedoch klar, dass ihr das nicht gelungen ist. Zwar zeigt Ingrid ehrliche Anteilnahme und möchte die Kranke besuchen, signalisiert mit ihrer Körpersprache aber zugleich ein Zögern, weil sie sich vor der Konfrontation scheut.
In seinem ersten englischsprachigen Langfilm „The Room Next Door“ widmet sich der Spanier Pedro Almodóvar der wieder aufkeimenden Freundschaft dieser zwei Frauen. Ein gutbürgerliches und sehr geordnet wirkendes Manhattan bildet dafür zunächst den Hintergrund, doch meist sind die beiden zu sehen, wie sie sich ohne jegliche Ablenkung in bühnenhaften Innenräumen austauschen. Die lange Pause, in der man sich aus den Augen verloren hat, wird erstmal mit Geschichten von früher nachgeholt. Spätestens als Martha erfährt, dass ihre Krankheit unheilbar ist, verschiebt sich das Augenmerk jedoch immer stärker auf die Gegenwart.
Als wäre sie bereits verstorben
Die Spannung dieses einfachen, auf dem Roman „Was fehlt dir?“ von Sigrid Nunez basierenden Arrangements besteht in der Unterschiedlichkeit der beiden Frauen und ihrem gegensätzlichen Verhältnis zum Tod. Wenn Marthas blütenweißes Gesicht zum ersten Mal zu sehen ist, wirkt es so entrückt, als wäre sie bereits verstorben. In einer Rückblende ist eine fast furchtlose Kriegsreporterin kennenzulernen, die entschieden handelt und ihre Emotionen fest im Griff hat. Ingrid strahlt dagegen eine divenhafte Eleganz aus, die sie mit aufrichtiger Empathie erdet. Der zentrale Konflikt zwischen den beiden entzündet sich, als Martha beschließt, mit einer Pille aus dem Darknet selbstbestimmt zu sterben, und die ängstliche Ingrid dafür um Beistand bittet.
Schließlich kommt es zu einer Abmachung: Es wird ein modernistisch verschachteltes Haus in den Wäldern von Upstate New York gemietet, wo sich Martha ohne vorherige Ankündigung das Leben nehmen will. Die tatsächlich in einem Vorort von Madrid befindliche Casa Szoke wird dabei fast zu einer weiteren Protagonistin. Ähnlich wie Almodóvar Szenen durch den Einsatz von leuchtenden, miteinander korrespondierenden Farben dramatisch auflädt, ist auch der Schauplatz mit seinen großen, verglasten Wänden inhaltlich aufgeladen. Das transparente Haus hebt mit seiner Architektur nicht nur den Unterschied zwischen innen und außen auf, sondern wird auch zu einem Schwellenort zwischen Diesseits und Jenseits.
Überlebenskampf in Krisensituationen
Sorgfältig verwebt Almodóvar einige wiederkehrende Leitmotive in der schlichten Geschichte. Der Krieg taucht dabei nicht nur buchstäblich auf, sondern auch im übertragenen Sinn als Überlebenskampf in Krisensituationen. Auch der Tod bezieht sich nicht nur auf ein Menschenleben, sondern auch auf zerbrochene Beziehungen oder das drohende Ende der Welt. Ingrids und Marthas gemeinsamer Ex-Freund Damian (John Turturro), der einhellig für seinen Enthusiasmus im Bett gelobt wird, hält als Wissenschaftler apokalyptische Vorträge über den Klimawandel. Dieser Mann, der Liebes- und Todestrieb in sich vereint, erzählt, wie ihn die ständige Panik vor dem Weltuntergang daran hindert, das Leben zu genießen. Lediglich Sex würde ihm noch Freude bereiten.
Zumindest indirekt spielt Erotik eine bedeutende Rolle im Film, weil sie für Gegenwärtigkeit und Genuss steht. Alles Betrübliche lässt sich dadurch zumindest für kurze Zeit vergessen. Das Geheimrezept für seinen guten Sex mit Martha führt Damian darauf zurück, dass sie immer auf dem Sprung war und jedes Treffen das letzte hätte sein können. Auch bei der sanften Freundschaft zwischen Ingrid und Martha wird die Zeit im Angesicht des Todes umso wertvoller. Die Schönheit liegt in Augenblicken, die einfach sind, aber umso bewusster erlebt werden: Ein Spaziergang im Wald, die Wärme der Frühlingssonne oder ein alter Buster-Keaton-Film.
Bis ins kleinste Detail kunstvoll durchgearbeitet
Mit seinen klar komponierten Bildern, der durchdesignten Ausstattung sowie den inhaltlichen Symmetrien und Gegensätzen ist „The Room Next Door“ bis ins kleinste Detail kunstvoll durchgearbeitet. Dass alles aufeinander abgestimmt wird, offenbart ein hohes Maß an inszenatorischer Kontrolle, das die Entfaltung von Handlung und Figuren letztlich auch ein wenig hemmt. Julianne Moores sichtbarer Zwiespalt zwischen Angst und freundschaftlicher Solidarität sowie Tilda Swintons subtilere Art, Emotionen durchschimmern zu lassen, indem sie unterdrückt werden, werden im Film zur Hauptattraktion. Nur wirken die zweifellos großartig aufspielenden Darstellerinnen dabei manchmal etwas zu adrett drapiert und beherrscht. Almodóvar inszeniert ein Melodram, das nicht den emotionalen Ausbruch sucht, sondern nach Reflexion strebt und sich dabei die meiste Zeit im Griff hat.
Belebt wird „The Room Next Door“ häufig, wenn sich sein Blick weitet und noch etwas anderes sieht als das zentrale Frauen-Duo. Etwa in den deutlich dynamischeren Rückblenden, die von Marthas im Vietnamkrieg traumatisiertem Ex-Freund erzählen oder von einem Journalisten-Kollegen, der in der gefährlichen Ungewissheit des Krieges eine leidenschaftliche Affäre mit einem Karmeliter eingeht.
Die Bedeutung des Unscheinbaren
Auch Ingrid braucht den Kontakt zur Außenwelt, um sich ihrer Angst vor dem Tod zu stellen. Die kurze, aber kathartische Begegnung mit einem jungen, attraktiven Fitnesstrainer scheint daran maßgeblich beteiligt zu sein. Almodóvar setzt nicht auf große Dramen, sondern auf die Bedeutung des Unscheinbaren. Der Film handelt nicht nur von Tod, Freundschaft und Sterbehilfe, sondern auch von der Müdigkeit und Resignation des Älterwerdens. Weil einem im Laufe der Jahre immer weniger Freude macht, ist es umso wichtiger, das Verbleibende zu genießen. „The Room Next Door“ jongliert zwar mit schweren Themen, feiert dabei aber entschieden hoffnungsvoll die Kostbarkeit jedes flüchtigen Moments.