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Filmkritik
„Mein Name ist Alithea. Meine Geschichte ist wahr. Ich bin eine geborene Einzelgängerin. Ich habe keine Kinder, keine Geschwister, keine Eltern. Ich hatte einst einen Mann.“ Doch von dieser Ehe ist nur eine mittelgroße Box geblieben, die neben anderen Souvenirs im Keller des Reihenhäuschens verwahrt wird.
Alithea ist eine Erzählforscherin, die in ihrem Beruf aufgeht. Leidenschaftlich setzt sie sich mit Mythen, Märchen und schriftstellerischen Fiktionen auseinander und erforscht, wie Menschen sich die Welt erklären. Aktuell ersetze der wissenschaftliche Diskurs den älteren, märchenhaft-mythischen Kontext. Doch ob das, was man heute als wissenschaftlich erwiesen erachtet, tatsächlich wahrer und richtiger ist als das andere, wagt Alithea zu bezweifeln.
Zwischen Jungfer und Eule
Tilda Swinton – rotes Haar, Pagenschnitt, im Alltag bieder-adrett, beim öffentlichen Auftritt gewagt-elegant gekleidet, – spielt Alithea mit der ihr eigenen Souveränität. Stark und zugleich fragil, in einer eigenwilligen Mischung aus spröder, vielleicht auch vom Leben enttäuschter Jungfer und leidenschaftlicher Wissenschaftlerin.
Eigentlich sollte ihre Selbsterklärung zu Beginn von „Three Thousand Years of Longing“, die jegliches Bedürfnis nach menschlicher Nähe in Abrede stellt, hellhörig machen. Doch im Kino lässt man sich gerne einfach mitreißen. Erst recht in einem Film von George Miller, der immer wieder höchst raffiniert ins verrückte Reich des Fantastischen und Märchenhaften entführt. Deshalb stutzt man erst dann, als Alithea auf dem Weg zu einem Kongress in Istanbul ein gespensterhaftes Wesen im Menschengewimmel entdeckt. Ein Dschinn, vermutet sie sofort. Denn schließlich zählt die Türkei zum Orient und damit zu jenem geografischen Großraum, in dem einst tausendundeine Geschichten über Aladins Wunderlampe und Co. erdacht wurden.
Doch als sie bei ihrem Vortrag am nächsten Tage nicht nur einen, sondern viele geisterhafte Wesen im Publikum entdeckt, verliert sie kurz das Bewusstsein. Das sei nicht weiter besorgniserregend, sondern widerfahre ihr gelegentlich, erklärt sie ihrem Begleiter, und ersteht auf dem Rückweg ins Hotel in einem schummrigen Antiquariat ein blau-weißes Glasfläschchen. Aus dem am nächsten Morgen nach gründlicher Reinigung eine rote Wolke entweicht. In satter Übergröße präsentiert sich ein Flaschengeist, der erst nach einiger Anstrengung ins Hotelzimmer passt.
Mehr oder weniger erotisch angehaucht
Idris Elba spielt den muskelbepackten Geist mit sonorer Stimme. Er stellt seiner Befreierin drei Wünsche in Aussicht. Alithea weist das mit der Begründung von sich, dass solches Wünschen in Märchen für gewöhnlich schlecht ausgehe. Das ist der Auftakt einer vorwiegend intellektuellen Auseinandersetzung zwischen dem Flaschengeist und der Wissenschaftlerin über Fluch und Segen von Wünschen. Sie bildet den Kern des Films, dem ein Sammelband mit fünf Kurzgeschichten der britischen Autorin Antonia S. Byatt zugrunde liegt. Darin spielen Motive und Themen aus „Tausendundeiner Nacht“, dem Gilgamesch-Epos und dem Kybele-Mythos eine Rolle, aber auch Werke von Geoffrey Chaucer und William Shakespeare.
Die Diskussionen im Hotelzimmer markieren den (auch inszenatorisch) relativ nüchternen Rahmen einer mehrfach verschachtelten Handlung. Alithea, die zum Schluss auf einer Bank in England sitzt und ihr tagebuchartiges Manuskript zuschlägt, fungiert dabei als Erzählerin. Den Kern bilden drei Geschichten des Dschinn, die einen Zeitraum von 3000 Jahren umfassen und von seinem Leben handeln. Mal mehr, mal weniger erotisch angehaucht drehen sie sich um menschliche Begehrlichkeiten und warum der Geist immer wieder in einer Flasche landet.
Konkret handeln sie von der schönen Königin von Saba, die ihr Herz dem musizierenden König Salomon schenkt und den Dschinn schnöde verstößt. Ein anderes Mal wünscht sich die aus einfachen Verhältnissen stammenden Gülten einen Prinzen zum Mann, verflucht diesen Wunsch aber irgendwann. Die neunmalkluge Zefir, die mit einem wesentlich älteren Händler verheiratet ist, möchte hingegen alles wissen, was es über die Welt und darüber hinaus zu erfahren gibt.
Zefir will sich die Welt erklären
Als epische Rückblenden bilden diese drei Geschichten eigenständige Einschübe, die sich in ihrer barock überbordenden Bildlichkeit und schwelgerischen Inszenierung von der Rahmenhandlung deutlich absetzen. George Miller lässt darin seiner Fantasie freien Lauf, die köstliche Blüten treibt. Das aus einer Art Gitarre und Trommeln bestehendes Instrument von König Salamon, das sich mittels kleiner Händchen selbsttätig spielt, ist dabei genauso faszinierend wie die aberwitzigen technischen Erfindungen und Gerätschaften, welche der Dschinn anschleppt, um Zefir die Welt zu erklären.
„Three Thousand Years of Longing“ schlägt thematisch einen riesigen Bogen, fällt aber trotz seiner Länge von 108 Minuten relativ bescheiden aus. Vieles wird nur angedeutet oder kurz angetippt, anderes erschließt sich durch die eilige Flüchtigkeit der Erzählung nicht wirklich. Das ist nicht nur deshalb bedauerlich, weil die opulenten Fantasy-Einschübe derart verrückt und kurzweilig sind, dass man davon gerne mehr gesehen hätte. Sondern vor allem deshalb, weil der angerissene Diskurs über das Erzählen, die menschliche Selbstvergewisserung und die damit einhergehende Art und Weise der Kulturvermittlung spannend und wichtig ist – und in einer Vertiefung einiges mehr hergäbe.