Vorstellungen
Filmkritik
Es braucht eine gewisse Chuzpe, um sich als junger Filmemacher einem Vergleich mit Stanley Kubrick auszusetzen. Florian Frerichs, der 2018 mit „Das letzte Mahl“ debütierte und schon mit seinem Kurzfilm „Alex“ eine Hommage an Kubricks „Uhrwerk Orange“ gedreht hat, traut sich das mit seinem zweiten Kinofilm „Traumnovelle“ zumindest mittelbar zu. Immerhin basiert der erotisch aufgeladene Neo-Noir-Thriller auf Arthur Schnitzlers gleichnamiger Novelle, die unter anderem auch Kubrick in „Eyes Wide Shut“ (1999) adaptiert hat.
Nahe an der literarischen Vorlage
Wo Kubrick die Handlung von der Wiener Jahrhundertwende ins New York der Gegenwart verlegte, nutzt Frerichs das heutige Berlin als Kulisse. Dort leben der Arzt Jakob (Nikolai Kinski), seine Ehefrau Amelia (Laurine Price) und das gemeinsame Kind Henny. Das Paar steht von außen besehen gut situiert im Leben, hadert aber mit Eheproblemen. Die Lust aufeinander ist geschwunden. Abhilfe schafft der gemeinsame Ausflug zu einer Techno-Party, wo Jakob und Amelia unabhängig voneinander explizite Angebote erhalten. Das Fremdflirten zündet; kaum wieder zuhause, fallen die Vermählten übereinander her. Doch die Episode wühlt Verborgenes auf. Am nächsten Abend gesteht Amelia ihr Begehren für einen Fremden, den sie im Urlaub in Dänemark gesehen hat und an den sie noch immer denkt, wenn sie mit Jakob schläft. Die angespannte Situation wird jäh unterbrochen, weil Jakob zu einem Einsatz gerufen wird. Für ihn beginnt ein Trip durchs Berliner Nachtleben, der von Eifersucht und Versuchungen gesäumt ist.
Frerichs lehnt seine Version des traumwandlerischen Psychogramms eng an die episodisch strukturierte Literaturvorlage an. Die Tochter eines Patienten (Nike Martens) gesteht Jakob ihre Liebe; eine junge Prostituierte (Nora Islei) umgarnt ihn, und schließlich verrät ihm auch noch der Pianist Nachtigall (Bruno Eyron) das Passwort für einen erotischen Maskenball am Wannsee. Die dafür notwendigen Utensilien – Maske und Umhang – leiht sich Jakob zu später Stunde bei einem unangenehm kuriosen Kostümverleiher. Die Masken-Symbolik aus Schnitzlers Novelle, ihre Kreisstruktur und die vielen Dopplungsmotive bleiben erhalten.
Gewitzter Verweis auf Onlyfans
Hier und da streut Frerichs mit wechselndem Erfolg Modernisierungen ein. Ganz gewitzt ist ein Verweis auf die Sexplattform Onlyfans; schlimm daneben greift hingegen eine KI-generierte Animationssequenz, die ästhetisch komplett durchfällt. Als musikalisches Leitmotiv dient Verdis Oper „Ein Maskenball“, zu deren Klängen Berlin in den Auftaktbildern aus der Vogelperspektive angeflogen wird; Jakob hört die Musik zwischen den einzelnen Stationen der Nacht per Kopfhörer. Als Quintessenz daraus strickt Frerichs recht ermüdende Zwischenspiele, in denen Jakob als Opernprotagonist reüssiert.
Die Handlung an sich ist zwar reizvoll, doch an der inneren Spannung der „Traumnovelle“ scheitert die Inszenierung. Das liegt vor allem am monotonen, fast teilnahmslosen Spiel des Ensembles. Insbesondere Nikolai Kinski, der in jeder Sequenz im Zentrum steht, agiert etwas zu entrückt. Was ihm widerfährt, perlt an ihm ab. Als Hemmschuh erweist sich hier auch die Nachsynchronisation. Der Film wurde auf Englisch gedreht; die deutsche Sprachfassung entstand erst hinterher – wobei die im Bild zu lesenden Textnachrichten kurioserweise unübersetzt blieben. Das theaterhafte Spiel wird auch vom künstlich wirkenden Produktionsdesgin unterstreichen. Das Ambiente wirkt überall zu gelackt, egal ob im Club, im Bordell oder im Burlesque-Theater. Hinzu kommt noch mangelnde Courage, wenn die angeblich so entfesselte Orgie in einer Villa doch eher zugeknöpft in Unterwäsche bestritten wird.
Ein Solitär unter deutschen Filmschaffenden
Unterm Strich bleiben nur einzelne atmosphärische Momente in einer letztlich doch recht faden Neuversion der „Traumnovelle“, die dem Vergleich mit der Kubrick-Variante in keiner Hinsicht die Stirn bieten kann. Allerdings ist allein der Versuch, einen solchen Film unabhängig und ohne Filmförderung zu produzieren und in die Kinos zu bringen, aller Ehren wert. Es braucht mehr Solitäre wie Florian Frerichs im deutschen Filmbetrieb!