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Filmkritik
Kommt ein junger Mensch ins Jenseits: Es ist eine düstere bayerische Behörde. „Das sieht ja furchtbar aus“, sagt der junge Mensch ungläubig, als ihm eine Tür zur absoluten Schwärze geöffnet wird, „warum habt ihr das denn nicht einladender gestaltet?“ Das Nichts, so die Antwort, „war schon immer so“. Augenrollen, Resignation: „Und was schon immer so war, kann man nicht besser machen, nicht wahr?“ Gen Z versus Boomer.
„Schon immer“, diese eisige Zeitangabe, die alles Innovative erdrückt, hegt eine innige Beziehung zum menschlichen Bedürfnis nach künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Jenseits. Denn schon immer malten die Menschen sich aus, ob und wie es weitergeht nach dem Tod und ob man ihn womöglich hinters Licht führen kann. Man leitete daraus wahlweise konservative oder progressive Weltanschauungen ab. Von der ältesten schriftlich überlieferten Reise in die Unterwelt, der 4000 Jahre alten Geschichte aus Mesopotamien, wonach eine Göttin namens Inanna in die Unterwelt hinabsteigt, dort festgehalten wird und erst nach einigen Ritualen wieder freikommt, bis hin zu heutigen „Afterlife“-Filmen wie „Pans Labyrinth“ oder „Soul“ verfügt zumindest das Genre selbst über eine Art ewiges Leben.
In unschuldsweißer Feinripp-Wäsche
Bevor der aus Regensburg stammende Regisseur Julius Grimm (Jahrgang 1987) in seinem Langfilmdebüt eine vierköpfige Clique in die titelgebende „Zweigstelle“ schickt, beginnt er mit einem wenig innovativen Motiv aus Beerdigungskomödien: dem Diebstahl der Asche eines Verstorbenen. Resi (Sarah Mahita) klaut einige Hände voll der staubigen Überreste ihres an Krebs gestorbenen Freundes Michi (Julian Gutmann), da er sich gewünscht hatte, dass seine Asche in den Bergen verstreut werde. Also fahren Resi und ihre Freunde mitsamt ihrer Beute los.
Unterwegs kommt es allerdings zum tödlichen Crash. Und schon finden sich Resi, Sophie (Nhung Hong), Philipp (David Ali Rashed) und Mel (Beritan Balci) in unschuldsweißer Feinripp-Wäsche zwei überarbeiteten, aber patenten Jenseits-Mitarbeiterinnen (Luise Kinseher, Johanna Bittenbinder) gegenüber. Die jungen Leute sind in einer bayerischen Zweigstelle der Behörde gelandet und sollen nun, je nach Glaubensrichtung, korrekt an die entsprechenden Fachabteilungen weitergeleitet werden.
Natürlich ist die Protagonistin Resi mit der Gesamtsituation nicht einverstanden. Sie will ins Leben zurück und heckt einen Plan aus. Als Praktikantin des grimmigen Hausmeisters (Rainer Bock) könnte sie zunächst einen Überblick über die endlosen Flure mit ihren enigmatischen Türen, mythischen Monstern und Computerkäuzen alter Schule gewinnen. Danach könnte sie dem Hausmeister den Schlüsselbund klauen und – Wunder sind möglich, erfährt sie – wieder ins Irdische zurückkehren, zusammen mit ihren Freunden, vielleicht sogar mit ihrem Freund, den sie ein paar Monate zuvor eigentlich verlassen wollte. Bis sie die Trennung nach der Krebsdiagnose nicht mehr übers Herz brachte.
Ein Fährmann namens Jack
Resis Selbstermächtigung beginnt damit, dass sie dem Hausmeister einen Namen gibt: Jack. Die Inszenierung legt hier feine Verbindungslinien zu einem der düstersten Filme der letzten Jahre. Wie in Lars von Triers „The House that Jack Built“ (2018) wird ein prominenter deutscher Schauspieler zum Charon, der durch die Unterwelt führt. War es bei von Trier ein gleichmütiger Bruno Ganz, ist es hier ein unsentimentaler, letztlich sogar mitfühlender Rainer Bock. „Jack“, so nennt man im Englischen den Wagenheber, soll zu Resis Werkzeug werden.
Die Inszenierung lässt auf allen Ebenen große Sorgfalt walten. Das beginnt mit der stimmigen Auswahl der Drehorte: Lost Places wie ein altes Jugendstil-Bad, eine holzvertäfelte Empfangshalle und vor allem ein seit Jahren verlassener Bürokomplex. Es zeigt sich in der trashigen Poesie der Musikauswahl von „Django 3000“ bis zu den sonnenbebrillten Glitzer-Knallchargen „Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys“, die im Hintergrund immer wieder leibhaftig auftreten und deren gutgelaunte Buntheit die Tristesse der Jenseitsorte eher verstärkt als aufheitert.
Mit großer Spielfreude
Die ästhetische Achtsamkeit äußert sich vor allem auch in der visuellen Spielfreude. Strenge Symmetrien und absurd angeschnittene Perspektiven von Kamerafrau Lea Dähne erinnern an die Filmsprache von Wes Anderson, nur eben in fahl und mit mehr holperigen Überraschungen. Der Film ist bis in die Nebenrollen treffend besetzt, etwa mit Florian Brückner und Rick Kavanian als nervlich etwas überreizte und deshalb ständig Witze reißende Bestatter. Im konsequenten Durchdeklinieren der Grundidee, im improvisierten Sprachduktus und einer daraus sprudelnden Fülle an Gags erinnert „Zweigstelle“ bisweilen an „The Ordinaries“ (2022) von Sophie Linnenbaum.
Dass der Film sich gegen Ende hin etwas zieht, stört im Grunde wenig. Jeder Film ist ein Zwischenreich, das man nur vorübergehend besucht, und in diesem macht der Aufenthalt Spaß, auch wenn bisweilen nicht so klar ist, ob das Ganze ins Nichts, ins Paradies oder zurück auf die Erde führt.
